Wie erfolgreich kann man den Zero- Waste Lebensstil im Alltag bei Kosmetikprodukten umsetzen? 2014 produzierten die Deutschen pro Kopf durchschnittlich 618 Kilogramm Müll (Statistisches Bundesamt, 2014). Als es in meinem Empiriemodul ,,Engagement in der Ruhr-Metropole als öffentliche Sozialforschung“ darum ging, ein Forschungsthema zu wählen, entschied ich mich daher für das Thema ,,Selbsttransformation“. Wie kann man sich selbst transformieren, um weniger Müll zu produzieren? Die Zero Waste Bewegung ist eine mögliche Antwort. Anhänger dieser Bewegung versuchen ihre Müllproduktion zu senken, z.B. durch Kompostieren, Recyceln und die Ablehnung von Plastikverpackungen. Da ich sehr interessiert bin an Kosmetik und Pflegeprodukten, stellte ich mir die Frage, wie gut diese ohne Plastikverpackungen in meinen Alltag einzubringen sind. Daher entschied ich mich, mich innerhalb unserer Selbsttestgruppe auf Kosmetikprodukte zu beschränken. Genauso wie die andere Gruppe, die ein Selbstexperiment durchgeführt hat und dazu einen Blogeintrag verfasst hat, führte ich sechs Wochen lang einen Selbsttest durch und testete Zero Waste Produkte auf ihre Effizienz.
Mehr als nur Recherchieren
Da das Format der Selbsttransformation speziell ist, machte auch ich mir regelmäßige Notizen zu den Produkten und den Erfolgen oder Herausforderungen, um eine erfolgreiche Reflexion durchführen zu können. Vor Beginn meines Selbsttests stellte ich mir zunächst grundsätzliche Fragen: Was heißt Zero Waste? Welche Abgrenzungen und Definitionen verwende ich als Richtlinien in meinem Experiment? Wo kann ich einkaufen, um Kosmetikprodukte zu bekommen oder herzustellen?
Zero Waste bedeutete für mich, dass kein Müll produziert wird und ich keine Produkte kaufe, die in Plastik verpackt sind und nur Produkte mit kompostierbaren Verpackungen kaufe. Doch Zero Waste ist für Teilnehmende dieser Bewegung nicht nur ein Weg, um keinen Müll zu produzieren, sondern es ist ein Lebensstil und strahlt meistens in alle Bereiche ihres Lebens aus, wie z.B. in den Konsum von Nahrung, Kleidung und auch Pflegeprodukte. Um Kosmetikprodukte herzustellen bzw. zu kaufen, nutzte ich Zero Waste Online Shops oder Supermärkte, die sich auf den Verkauf von Zero Waste Produkten spezialisieren.
Am Ende des Tages reflektierte ich darüber, wie gut die Produkte in meinen Alltag zu integrieren und wie effizient sie im Vergleich zu herkömmlichen Produkten sind. Während der Durchführung meines Selbsttests absolvierte ich ein Praktikum, weshalb es leicht war eine Aussage über die Effizienz und Integrierung der Produkte in einen vollen Terminplan zu treffen, da ich Produkte brauchte, die den ganzen Tag über funktionieren, leicht in der Herstellung und in der Anwendung sind und keinen Müll produzieren. Im Folgenden werde ich im Kapitel „Backpulver statt Zahnpasta“ zunächst darauf eingehen, wie ich Zero Waste in meinem Alltag umgesetzt habe. Da sich mir während des Selbstexperiments immer wieder die Frage gestellt hat, inwiefern mein Produktempfinden und Konsumverhalten von der Gesellschaft bestimmt wird, gehe ich im Kapitel „Reinigt die Gesellschaft meine Zähne?“ auf meine neu gewonnenen Erkenntnisse diesbezüglich ein. Im Kapitel „Raus mit dem Aluminium, rein mit dem Kokosöl?“ ziehe ich zudem ein Fazit.
Backpulver statt Zahnpasta?
Ich begann meinen Selbsttest damit, zu überlegen was für Alternativen ich benötigte für z.B. Zahnpasta, Deodorant, Make-Up und Körperpflegeprodukte wie Bodylotion. Dazu erstellte ich eine Liste mit allen Produkten, die ich im Alltag benutze. Auch für mich waren Onlineforen oder auch Plattformen wie Youtube hilfreich, mögliche Alternativen und Rezepte zur Selbstherstellung von Produkten zu finden. Ich notierte mir interessante Zutaten und Ideen, wie z.B. für Körperpeelings oder Deodorant und bestellte mir die meisten Zutaten und Produkte online. Die restlichen Produkte waren leicht erhältlich in Zero Waste Supermärkten in der Region. Dabei war auch für mich die Einkaufserfahrung eine andere als gewöhnlich, da man vorbereitet und genau strukturiert nach Produkten sucht und passende Gefäße und Taschen bei sich trägt, um beim Einkauf keinen Müll zu produzieren.
Am Tag vor Beginn des Selbsttests probierte ich die ersten Rezepte aus. Ich machte Zahnpasta selbst und nutzte dafür Backpulver und Kokosnussöl. Mein Deodorant stellte ich aus Backpulver, Kokosnussöl und Stärke her und mein Gesichtspeeling bestand aus Zucker, Honig und Kokosnussöl. Die meisten Rezepte machte ich in größeren Mengen, damit ich sie so auch auf ihre Haltbarkeit testen konnte. Sobald man die Zutaten hatte, die man natürlich extra kaufen musste, musste man die Zutaten meist nur mischen, über einem Wasserbad schmelzen und in Gefäße umfüllen. Mit diesen Produkten begann ich meinen ersten Tag. Ein typischer Tagesablauf mit Zero Waste Kosmetik und Pflegeprodukten sieht in etwa so aus:
Ich putze mir die Zähne mit einer Bambuszahnbürste, anstelle von einer handelsüblichen Plastikzahnbürste und benutze meine selbst hergestellte Zahnpasta. Ich wasche mein Gesicht mit Seife aus natürlichen Produkten, die ich unverpackt gekauft habe und trage Öle als Gesichtspflege auf. Ich sprühe mein Deodorant nicht aus der Flasche auf, sondern öffne mein selbst hergestelltes und trage es mit meinen Fingern auf. Ich verzichte auf mein übliches Make Up, dass ich an dieser Stelle auftragen würde und benutze nur ein wenig Kakaopulver, eine Zero Waste Alternative zu Bronzer und Augenbrauenpuder, um meinem Gesicht etwas Farbe zu verleihen und meine Augenbrauen aufzufüllen. Am Ende des Tages wasche ich mein Gesicht und meinen Körper erneut mit der natürlichen Seife und wasche meine Haare mit einer ,,Shampoo-Bar“, also einer Art Stückseife, die unter Wasser aufschäumt und zu Shampoo wird. Anstatt von handelsüblicher Bodylotion, benutze ich Kokosnussöl und putze meine Zähne erneut mit meiner eigenen Zahnpasta. Mein alltäglicher Ablauf mit Zero Waste Produkten weicht theoretisch nicht stark von meinem üblichen Tagesablauf ab. Doch meine übliche Make- Up Routine wird sehr viel minimalistischer. Make-Up und Kosmetikprodukte sind ein großes Interesse von mir und ich experimentiere gerne mit Produkten, dies konnte ich genauso auch mit Zero Waste Produkten tun. Doch die Herstellung von manchen Zero Waste Make-Up Produkten war ein etwas längerer Prozess, als bei den Hygieneprodukten, die ich sonst verwende. Um Zero Waste Wimperntusche herzustellen, benutzt man Mandeln, die man in der Pfanne anbrät bis sie schwarz sind, und mahlt diese klein. Dies vermischt man dann mit Vaseline und erhält so Wimperntusche, die man dann mit einem Bürstchen auftragen kann. Dieses Rezept funktioniert sehr gut, doch der Prozess ist langwieriger, als in den Laden zu gehen und fertige Wimperntusche zu kaufen. Der Geruch, der bei dem Anbraten der Mandeln entsteht, ist außerdem sehr unangenehm und die Pfanne danach zu reinigen ist nicht sehr leicht. Doch ich frage mich, ob es besser ist, lieber schnell Wimperntusche zu kaufen, dabei aber Plastikmüll zu erzeugen oder ob man lieber einen Abend damit verbringt, gleich eine große Menge an Wimperntusche selbst herzustellen, die auch lange haltbar ist. Der Ersatz von Bronzingpuder oder Augenbrauenpuder durch Kakaopulver ist jedoch sehr einfach, wenn auch am Anfang etwas ungewohnt. Gemischt mit Stärke oder Mehl kann Kakaopulver somit auch zu Gesichtspuder werden. Einzig die Herstellung eines Zero Waste Rouges war mir nicht möglich. Dafür braucht man gemahlene Rote Beete, die ich nicht Zero Waste erhalten konnte.
Reinigt die Gesellschaft meine Zähne?
Bei meinen Erfahrungen während des Selbsttests fällt mir oft auf, dass die Benutzung von natürlichen Produkten als Ersatz ein ungewohntes Gefühl ist. Wieso fühlt es sich ungewohnt an, Kakaopulver als Ersatz für meinen üblichen braunen Lidschatten zu benutzen, der ebenfalls mit Kakaopulver hergestellt wurde und in einer schicken Palette für über 50€ verkauft wird? Wieso empfinde ich es als unangenehm, dass ich mit meinem Zero Waste Deodorant zwar komplett den Schweißgeruch, aber nicht das Schwitzen an sich verhindern kann, eine komplett natürliche Körperfunktion. Wieso habe ich ein anderes Gefühl, wenn ich meine Zähne ohne Pfefferminzgeschmack putze? Die Frage tat sich auf, ob all diese Gefühle vielleicht durch unsere Gesellschaft hervorgebracht werden. Mein ganzes Leben lang hat meine Zahnpasta immer nach Pfefferminz geschmeckt. Sie hat mir das Gefühl von frischem Atem und sauberen Zähnen gegeben. Als ich nach Alternativen recherchierte, fragte ich mich das erste Mal überhaupt, woraus handelsübliche Zahnpasta besteht und las dabei häufig von Kritik an Zahnpasta und der Frage wie gesundheitsschädlich einige Bestandteile vielleicht sein könnten. Darüber hinaus stellen ,,Whitening“ Produkte bei Zahnpasta ein umweltschädliches Problem dar. Diese Produkte enthalten meist Mikrokügelchen, die den Zahnschmelz polieren sollen. Sie sind jedoch nicht biologisch abbaubar und stellen so eine Umweltschädigung dar. Eine Zero Waste Zahnpasta nur aus Kokosnussöl und Backpulver erscheint nicht sehr gefährlich, doch ich frage mich zu Beginn, ob meine Zähne genauso sauber werden wie mit der handelsüblichen Zahnpasta. Auch im Bereich des Deodorants stellt sich mir diese Frage. Üblicherweise benutze ich Deodorants, die mit Aluminium hergestellt sind und sowohl Schweißgeruch als auch Schweißbildung verhindern. Doch Aluminium in Deodorants konnte in Verbindung mit Brustkrebs gebracht werden. Wieso findet man es normaler, ein möglicherweise krebserzeugendes Produkt zu verwenden und so natürliche Körperfunktionen zu verhindern als die natürliche Variante? Ist es, weil man im Fernsehen, Zeitschriften und Geschäften nur die handelsüblichen Deodorants sieht? In meinem alltäglichen Leben färbe ich mir regelmäßig die Haare in einem Friseursalon. Ich benutze Zuhause chemische Produkte, um die Qualität meiner Haarfarbe zu verlängern und zu verbessern. Diese Produkte sollten am besten nur mit Handschuhen aufgetragen werden. Ich frage mich, ob diese Produkte vielleicht gesundheitsschädlich sein könnten. Das Zero Waste Shampoo reinigt meine Haare und schädigt sie nicht, doch ich vermisse trotzdem mein übliches Shampoo, das vollgepackt ist mit Inhaltsstoffen, die ich nicht kenne. Erneut stellt sich mir die Frage, ob ich Parabene und Sulfate einfacher Seife vorziehe, weil ich daran gewöhnt bin und die Gesellschaft es so vorlebt? Reagiert meine Haut auf die Gesichtsöle zunächst stärker als auf meine üblichen Gesichtspflegeprodukte, weil sie die natürlichen Inhaltsstoffe nicht gewohnt ist oder sind sie zu reichhaltig für mich? Was ist überhaupt in den üblichen Pflegeprodukten? Wenn man vielleicht nie mit diesen Eindrücken und Erfahrungen in Berührung gekommen wäre, würde man dann vielleicht die natürlichen und selbst hergestellten Produkte als selbstverständliche Lösung annehmen und die handelsüblichen und in Plastik verpackten Produkte als ungewohnt empfinden?
Raus mit dem Aluminium, rein mit dem Kokosöl?
Insgesamt mache ich in meinem Selbsttest unterschiedliche Erfahrungen. Die Herstellung der überwiegenden Produkte ist nicht sehr kompliziert und langwierig. Natürlich nimmt man sich die Zeit, um die Produkte Zero Waste zu kaufen und muss sie dann noch selber herstellen, doch es kostet genauso viel Zeit, in ein Geschäft zu gehen und die passende Foundationfarbe zu finden. Genauso wie der Rest der Selbstexperimentgruppe bin ich mir im Klaren, dass ich den Rahmen der Zero Waste Kosmetikprodukte nicht voll ausgeschöpft habe. Dafür reicht der sechswöchige Zeitraum nicht aus. Ich konnte in dieser Zeit keine Vorlieben in der Herstellung oder für gewisse Zutaten finden. In Bezug auf die Frage der Effizienz der Zero Waste Produkte im Vergleich zu handelsüblichen Produkten ist es schwer für mich eine Antwort zu finden. Das Deodorant verhindert den Schweißgeruch, also funktioniert es genauso gut wie das ,,normale“. Doch trotzdem würde ich mein übliches Deodorant nicht aufgeben. Weil die Gesellschaft Schwitzen nicht als normal ansieht und ich daran gewöhnt bin, nie darüber nachzudenken, ob Schweißflecken entstehen könnten. Das Shampoo reinigt meine Haare genauso gründlich, doch ich freue mich auf mein übliches Shampoo, das bei zu langem Kontakt meine Haut lila färbt. Das Zero Waste Shampoo war genauso effizient, doch es hat mir nicht mein gewohntes Gefühl von seidig weichen Haaren gegeben. Warum? Weil die Haare der Frauen in Werbungen immer als sehr glänzend dargestellt und als das Ideal wahrgenommen werden? Obwohl diese Bilder meist stark bearbeitet worden sind. In diesem Zusammenhang hat der Selbsttest mir die Augen dafür geöffnet, wie viel unsere Wahrnehmung und Empfindungen von der Gesellschaft beeinflusst wird. Für die Zukunft würde ich mir deshalb wünschen, dass durch die Zero Waste Bewegung auch die natürlichen Produkte an Aufmerksamkeit gewinnen und irgendwann als völlig normal angesehen werden. Auch denke ich, dass Stoffe wie Aluminium gesetzlich festgelegt nicht in Produkten vorhanden seien sollten, wenn man die gesundheitlichen Auswirkungen nicht vollkommen nachweisen kann. Die Empfindungen, die wir bei Produkten haben, sind durch gesellschaftliche Normvorstellungen bestimmt. Dies soll uns vielleicht gezielt zu einem bestimmten Konsumverhalten verleiten. Wenn wir beispielsweise Werbung sehen und bestimmte Gefühle ausgelöst werden sollen, die uns glauben lassen, dass die dort dargestellten Situationen oder Versprechungen der Produkte der Wahrheit entsprechen würden. Es wäre ein interessanter Ansatz zu erforschen, wie man diese Empfindungen durch die gesellschaftlichen Normvorstellungen verändern könnte. Dies würde sicher nicht nur das Konsumverhalten, sondern auch Aspekte wie Bodyimage in den Medien stark verändern und ist dadurch sehr aktuell.
Ein Beitrag von Johanna Pestke
Literaturverzeichnis
-Zentrum der Gesundheit (2017): Gefährliche Stoffe in der Zahnpasta, [online] https://www.zentrum-der-gesundheit.de/zahnpasta-inhaltsstoffe-ia.html , [21.10.2017].
-Fink, Lucie: Try Living With Lucie [online] https://www.youtube.com/watch?v=Hw38z6dfg88&list=PLJEQBmLpTgd-5HxHkeKH0-siAAO9zJE7E , [17.11.2017]
-Singer, Lauren : Bathroom, [online] http://trashisfortossers.com/category/bathroom/ , [20.08.2017]
-https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/UmweltEnergie/Abfallaufkommen.html, [20.08.2017]
Bildverzeichnis
https://pixabay.com/de/backpulver-box-wei%C3%9F-pulver-natrium-768950/, Zugriff am 18.01.2018
https://pixabay.com/de/zahnb%C3%BCrste-zahnpasta-zahnpflege-571741/ , Zugriff am 18.01.2018
Das Thema der „Selbsttransformation“ ist ein sehr aktuelles und das in vielen Lebensbereichen. Dem technischen Fortschritt kommen wir Menschen kaum noch hinterher, obwohl menschengemacht. Der Entwicklung von Lebensmittel- oder Kosmetikproduktion und deren Zusammensetzungen ebenso wenig. Der Beitrag hat in seiner Einfachheit durch das klare Experiment wunderbar deutlich gemacht, wie schwer es ist, sich von Gewohnheiten zu lösen und eigenständig nach den eigenen wirklichen Bedürfnissen, notwendigen oder überflüssigen Bedürfnissen, zu fragen. Es ist keine reine verstandesmäßige Auseinandersetzung mehr, da diese Prägungen – ob ein Produkt für uns „richtig“ oder „irgendwie komisch“ ist – tief mit unserem Gefühl verknüpft sind. Eine Art „Gesellschaftsgefühl“. So wird für eine wirkliche Transformation oder auch Öffnung der Gesellschaft eine empfindungsmäßige Erfahrung notwendig sein, die im Kleinkindalter beginnen müsste. Denn ein Tablet oder Smartphone wird uns eine eigene Erfahrung mit unserer Umwelt nicht abnehmen und nur ein Werkzeug darstellen, durch das wir uns gewissen Zielen (wie einem Zero-Waste Lebensstil) nähern können – wenn wir es denn wollen.