Gastbeitrag zum Teilaspekt Engagement und Lebensverlauf

Motive und Hürden für die Flüchtlingshilfe bei Männern im Ruhestandsalter

Die qualitative Studie beschäftigt sich mich den Motiven von Männern in der Nachberufsphase für die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit. Sie gibt zunächst einen Überblick über aktuelle quantitative Forschungsergebnisse. Daraufhin werden die Fallauswahlwahl und die Forschungsfragen vorgestellt. Das Theoriegerüst zu Motiven und Motivatoren bedient sich der Theorien der Arbeits- und Organisationslehre, sowie der Alternstheorien und Geschlechterstereotype. Die Zusammenfassung beschreibt die Hauptmotive der Befragten für die Flüchtlingsarbeit als Idealismus- und Beziehungs- Motiv. Das ergänzende Leitmotiv Ordnung macht die biografischen Besonderheiten der Befragten deutlich. Als Abschluss der Studie werden Empfehlungen für die Beratung der Ehrenamtlichen vorgestellt sowie eine Prüfung der Zielfokussierung der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit vorgeschlagen.

Flüchtlinge werden deutschlandweit durch Kommunen, Nichtregierungsorganisationen, Initiativen und Einzelpersonen unterstützt, um ihnen das Ankommen und die Integration in die Gesellschaft zu erleichtern. Bei dieser herausfordernden Aufgabe ist die Gesellschaft auf ein hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement angewiesen.

© Hans-Peter Zehnter

Das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingsarbeit ist seit dem Beginn des ausgeprägten Flüchtlingszustromes durch eine hohe Beteiligung von Frauen gekennzeichnet. Mehr als zwei Drittel der ehrenamtlich Engagierten im Bereich der Flüchtlingsarbeit sind weiblich. Damit zeigt die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit eine signifikant abweichende Geschlechter-, aber auch Altersverteilung gegenüber dem allgemeinen ehrenamtlichen Engagement (vgl. Karakayali 2016: 11ff.).

Oberhalb eines Alters von 60 Jahren sind 24 Prozent in der Flüchtlingsarbeit engagiert, was in Relation zum allgemeinen Engagement eine deutliche Unterrepräsentation darstellt (vgl. Karakayali 2016: 11ff.). Das Ziel der Studie im Rahmen einer Abschlussarbeit ist die Suche nach Erklärungsansätzen für die im Rahmen der quantitativen Studien zur ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit gefundene Unterrepräsentanz bei der Beteiligung von männlichen ehrenamtlich Engagierten in der Nachberufsphase, also der Zeitspanne in typisch guter Gesundheit und der Neuausrichtung der Lebensinhalte im Rentenalter.

Die Untersuchung wurde in Form einer qualitativen Fallstudie bei einem Verein der Flüchtlingshilfe in Dortmund durchgeführt. Dabei wurden sieben ehrenamtlich Engagierte dieser Zielgruppe in einem Leitfadengestützten Interview befragt. Ergänzend wurde ein Experteninterview mit einem Koordinator der Flüchtlingsarbeit in Dortmund durchgeführt. Über die Befragung zu den Motiven für das ehrenamtliche Engagement sowie zu den positiven und negativen Erfahrungen der aktiv Engagierten in der Flüchtlingsarbeit wurden auch denkbare Hinderungsgründe für die Flüchtlingsarbeit abgeleitet, um mögliche Ansätze für eine bessere Aktivierung dieser Bevölkerungsgruppe zu finden.

Die Forschungsfragen der zugrundeliegenden Studie lauten:

  • Was motiviert Männer im Dritten Alter für das ehrenamtliche Engagement im Bereich der Flüchtlingsarbeit?
  • Was sind die fördernden und hemmenden Bedingungen ehrenamtlicher Flüchtlingsarbeit für die männlichen Engagierten im Dritten Alter?

Folgende Unterfragen wurden in Bezug auf die Fragestellungen entwickelt:

  • Welchen Einfluss hat das Geschlecht der Engagierten auf das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingsarbeit?
  • Welchen Einfluss hat das Alter der Engagierten auf das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingsarbeit?

Die Studie verwendete für den Bereich der Motivanalyse mit den Theorien der Lebensmotive nach Reiss (vgl. Reiss 2010: 41-53) sowie der Zwei-Faktoren-Theorie nach Herzberg (vgl. Herzberg et al. 1959: 113f.) ein Theoriegerüst angelehnt an die Arbeits- und Organisationslehre, für die Analyse der Motivatoren im Engagement die „warm-glow giving Erfahrungen“ des unreinen Altruismus nach Andreoni (vgl. Andreoni 1989: 1447ff.) sowie die „Resonanzerfahrungen“ gemäß der Resonanzsoziologie von Rosa (vgl. 2016: 281-289). Die Untersuchung von alters- und geschlechterspezifischen Faktoren wird gestützt durch die Kontinuitätstheorie des Alterns (vgl. Boothe&Ugolini 2005: 51f.) und die der männlichen Geschlechterstereotype (vgl. Athenstaedt&Alfermann 2011: 14f.).

Zusammenfassung der Ergebnisse:

Der ausschlaggebende Anstoß, sich ehrenamtlich für die Flüchtlingsarbeit zu engagieren, kommt bei der befragten Gruppe von einer direkten Betroffenheit im persönlichen Lebensumfeld, in den meisten Fällen durch eine benachbarte Flüchtlingsunterkunft, unterstützt durch Medienberichte. Für die Vermittlung in das angestrebte Engagement werden persönliche Kontakte zu leitenden Personen oder Koordinatoren einer Gruppe oder eines Vereines in Anspruch genommen. Die von außen kommenden Anstöße müssen auf eine individuelle innere, dem Engagement zugewandte Motivlage treffen. Bei der Frage der Motive lässt sich basierend auf der inhaltsanalytischen Interviewauswertung über alle Befragten hinweg kein deutliches Einzelmotiv der Ehrenamtlichen erkennen. Es handelt sich vielmehr um eine Kombination verschiedener Motivdimensionen. Die beiden herausragenden Motivdimensionen, die im Rahmen dieser Studie bei den Befragten identifiziert werden konnten, sind die Motivdimensionen Idealismus und Beziehungen. Wenigstens eine dieser beiden Motivdimensionen konnte bei jedem der sieben Interviewpartner deutlich identifiziert werden. Bei der Motivdimension Idealismus geht es im Sinne von Reiss (2010: 81) allgemein um humanitäre Bemühungen und gesellschaftliche Verbesserungen. Im Zusammenhang der Flüchtlingsarbeit bemühen sich die Engagierten um die Verbesserung der Lebensumstände der Flüchtlinge am Wohnort. Die Motivdimension Beziehungen beschreibt das universelle Bedürfnis nach Gesellschaft (vgl. Reiss 2010: 74). Die im Ergebnis ebenfalls ausgeprägte Motivdimension Ordnung deutet in dieser Studie auf die besondere Situation von männlichen Engagierten in der Nachberufsphase hin. Hier geht es einerseits um die Wirkung der ehrenamtlichen Tätigkeit als zeitlichen Strukturgeber, andererseits um den Ruf nach der Beteiligung bei der strukturellen Ausgestaltung und Entwicklung des Engagements für Flüchtlinge im Verein.

Die Motivation für das Engagement beziehen die Befragten aus den motiverfüllenden Erfahrungen für ihre jeweilige Motivlage. Dies sind für die Motivlage Idealismus die warm-glow giving Erfahrungen (vgl. Andreoni 1989: 1447ff.) als gutes Gefühl beim Engagement. Für die Motivlage Beziehungen sind es die Resonanzerfahrung beim dialogischen Umgang mit den Flüchtlingen. Rosa (2016) verwendet dazu den Begriff der Anverwandlung, also eine ausgeprägte Beziehungssituation, die sowohl eine positive empfundene Veränderung der Weltsicht der betreuten Flüchtlinge als auch des Engagierten selbst bewirkt (vgl. Rosa&Endres 2016: 124).

Das Gemeinschaftsgefühl der ehrenamtlichen Engagierten untereinander hingegen wird als spezifischer Aspekt für das ehrenamtliche Engagement im Flüchtlingsbereich von den Befragten im Rentenalter als nicht relevant, teilweise sogar als unerwünscht dargestellt.

Als „Hygienefaktoren“ für das ehrenamtliche Engagement in der Flüchtlingsarbeit im Sinne von Herzberg und Kollegen (vgl. 1959: 113f.) haben sich zur Motivdimension Ordnung zwei bemerkenswerte Faktoren herauskristallisiert. Hierbei geht es einerseits um organisatorische Aspekte der Flüchtlingsarbeit wie z.B. die Optimierung der Ämterbürokratie, die bessere Finanzausstattung der Flüchtlingsarbeit und die politische Aufklärung in der Gesellschaft, zum Zweiten um die Hürden für die Männer insbesondere bei der Patenschaftsarbeit mit weiblichen Familienmitgliedern durch unterschiedliche Enkulturation der Beteiligten. So gibt es Vorbehalte seitens der weiblichen und männlichen Flüchtlinge, sich von gegengeschlechtlichen Engagierten betreuen zu lassen. Diese Hürde überbrücken einige der männlichen Engagierten durch ein ehrenamtliches Engagement insbesondere für Flüchtlingsfamilien gemeinsam mit dem (Ehe-) Partner. Wo diese Kooperationsmöglichkeit nicht gegeben ist, weichen die ehrenamtlichen Helfer der befragten Gruppe auf Tätigkeitsbereiche mit geringerem geschlechterstereotypem Konfliktpotential wie z.B. Sport oder Jugendarbeit aus.

Das höhere Alter der Befragten spielt bei den selbst ausgewählten und passgenauen Aufgaben im Engagement eine eher unterstützende Rolle. So können gewonnene alters- und berufsbezogene Kompetenzen im Engagement bestens genutzt werden. In männlich geprägten Arbeitsfeldern ist die Rolle des älteren Mannes als anerkannte Respektperson oder Vaterersatz für die Flüchtlinge durchaus förderlich.

Explizite Ursachen für eine Unterrepräsentanz der Gruppe der Männer im Dritten Alter im Flüchtlingsengagement gemäß der quantitativen Studien konnten in dieser Arbeit nicht nachgewiesen werden. So bleibt zu vermuten, dass die geringere Affinität der Gruppe der Männer in der Nachberufsphase zur Flüchtlingsarbeit durch die Ausprägung ihrer geschlechterspezifischen Motivdimensionen geprägt ist. Ein hemmender altersbedingter Einfluss des höheren Alters für das Flüchtlingsengagement kann nach den Ergebnissen dieser Studie nicht festgestellt werden, da zur Kontrastierung keine jüngere Vergleichsgruppe befragt wurde. Von den Befragten wurde deutlich ihr zunehmendes Alter und die damit verbundene Lebenserfahrung als positiver Aspekt für das ehrenamtliche Flüchtlingsengagement in lern- und beziehungsorientierten Arbeitsfeldern herausgestellt.

Empfehlungen:

Das gewählte Arbeitsfeld der älteren Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit sollte zugunsten eines langfristigen Engagements geeignet sein, die individuellen motiverfüllenden Erfahrungen zu generieren und damit die Motivation aufrecht zu erhalten. Neben der Motivlage und Motivation ist die Bestimmung der persönlichen Ressourcen und Fähigkeiten des Ehrenamtlichen für die Wahl des Arbeitsfeldes erforderlich. Dabei bestimmt sich das Arbeitsfeld, insbesondere bei Engagierten in der Nachberufsphase, aus der kontinuierlichen Weiterentwicklung der bisherigen Biografie. Für die passgenaue Abstimmung des Arbeitsfeldes sind erfahrene Koordinatoren und Ansprechpartner in den Organisationen der Flüchtlingsarbeit erforderlich.

Die Verbesserung der Zusammenarbeit der regionalen Hilfsorganisationen und Vereine untereinander sowie der Wunsch nach einer intensiveren Diskussion zu den Prinzipien der Flüchtlingsarbeit innerhalb der Vereine wurden von den Befragten mehrfach geäußert. Unzureichende Mitgestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Flüchtlingsarbeit haben für die betrachtete Gruppe der Männer in der Nachberufsphase eine hemmende Wirkung. Daher ist die Bereitstellung geeigneter partizipativer Strukturen in den Organisationen anzuraten. Für einige Arbeitsfelder der Flüchtlingsarbeit wie beispielsweise der Familienbetreuung sind interkulturelle Hürden im Geschlechterverhältnis als Hemmfaktor für die Flüchtlingsarbeit von zentraler Bedeutung. Diese lassen sich durch eine geeignete Wahl des Arbeitsfeldes umgehen oder durch eine paarweise Ausübung des Engagements zumindest teilweise kompensieren.

Die expliziten Ziele ihrer ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit wurden von den Befragten in ihren Interviewerzählungen weder auf einer persönlichen Ebene noch auf einer gesellschaftlichen Ebene genannt. Auch die publizierten Studien zur ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit thematisieren diese Zielfokussierung der Flüchtlingsarbeit nicht. Daher erscheint es umso angebrachter, die Frage der Formulierung der gesellschaftlichen Ziele der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in weiteren Studien zu thematisieren.

Ein Beitrag von Hans-Peter Zehnter

Literatur:

Andreoni, J., 1989: Giving with Impure Altruism: Applications to Charity and Ricardian Equivalence. Journal of Political Economy 97: 1447–1458.

Athenstaedt, U & D. Alfermann, 2011: Geschlechterrollen und ihre Folgen: Eine sozialpsychologische Betrachtung. Stuttgart: Kohlhammer.

Boothe, B., 2005: Lebenshorizont Alter. In: B. Ugolini, (Hrsg.) Interdisziplinäre Vortragsreihe der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich und der Universität Zürich. Zürich: vdf Hochschulverlag AG

Herzberg, F., B. Mausner & B. Snyderman, 1959: The motivation to work. London: Transaction Publisher

Karakayali, S. & O. Kleist, 2016: EFA Studie: Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in Deutschland. 2. Forschungsbericht. Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Humboldt-Universität zu Berlin. Berlin. http://www.bim.hu-berlin.de/media/Studie_EFA2_BIM_11082016_V%C3%96.pdf, zuletzt geprüft am 16.08.2016.

Reiss, S., 2010: Das Reiss Profile: Die 16 Lebensmotive: Welche Werte und Bedürfnisse unserem Verhalten zugrunde liegen. Offenbach: GABAL-Verlag.

Rosa, H., 2016: Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.

Rosa, H. & W.Endres, 2016: Resonanzpädagogik: Wenn es im Klassenzimmer knistert. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.

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