„… weil man einfach mit so extrem vielen Menschen, die komplett unterschiedlich sind, in Kontakt tritt, was man im universitären Kontext zum Beispiel nicht hat.“ (Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe)
Studierende gelten gemeinhin als weltoffen, engagiert und politisch. Sie sind eine große, bunte und kreative Gesellschaftsgruppe, bevorzugen Großstädte als Wohnorte und haben häufig den Anspruch am Puls der Zeit zu leben. Sie haben ein hohes Maß an Flexibilität, während andere zwischen 8:00 und 16:30 Uhr zur Arbeit gehen müssen. Tatsächlich ist der Anteil junger Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen im Engagementbereich überdurchschnittlich hoch (BMFSFJ 2016). Auch in der aktuellen Flüchtlingshilfe sind Studierende wichtige Akteure und leisten wesentliche Unterstützung (Karakayali/Kleist 2015).
Im folgenden Beitrag interessiert uns, in welcher Art und Weise Studierende sich engagieren und welche Beweggründe sie dafür benennen. Inwiefern ist ein Engagement im Kontext der Universität möglich? Oder organisieren sich Studierende lieber eigenständig?
Wir gehen davon aus, dass Studentinnen und Studenten (1) eine flexible Zeiteinteilung haben, (2) allgemein an der Mitgestaltung bzw. der Zukunft der Gesellschaft interessiert sind und (3) die Absicht verfolgen Netzwerke aufzubauen und zu erweitern. Darüber hinaus wird angenommen, dass sie (4) die auf sie zugeschnittenen universitären Engagementangebote annehmen.
Der Beitrag bietet zunächst einen einleitenden Überblick über Studierende als Unterstützer in der Flüchtlingshilfe. Im ersten Teil konkretisieren wir, wie Studierende sich engagieren. Nehmen sie freiwillige Tätigkeiten auf, um ihren Lebenslauf zu erweitern? Oder sehen sie das Engagement viel mehr als ein Lernfeld fürs Leben? Nachfolgend erörtern wir, inwiefern engagierte Studierende zwischen den Kulturen vermitteln.
Im zweiten Teil geht es um die Rolle und Funktion der Universitäten im Kontext des studentischen Engagements: Wie fördern die Bildungseinrichtungen dieses und welche Unterstützung bieten sie den Studierenden an? Zusätzlich wird die Rolle von Facebook & Co. für das Engagement betrachtet.
Wer sind die engagierten Studierenden und was bewegt sie?
Studierende als wichtige Unterstützer in der Flüchtlingshilfe – wen wir interviewt haben
Durch die Forschung in den letzten zwanzig Jahren wird deutlich, dass sich „Personen mit einem abgeschlossenen Fachhochschul- oder Universitätsstudium zu den höchsten Anteilen“ (Simonsen et al. 2016: 438) engagieren. Während Menschen mit einer hohen Schulbildung sich mit 52,3 Prozent engagieren, liegt der Anteil an Engagierten bei Personen mit niedriger Schulbildung mit 28,3 Prozent deutlich geringer. Des Weiteren zeigen sich deutliche Unterschiede in der Entwicklung zwischen den Jahren 1999 bis 2004 bei den verschiedenen Bildungsgruppen: Während der Anteil Engagierter mit hoher Bildung um 11,9 Prozentpunkte stieg, waren es bei Menschen mit niedrigem Bildungshintergrund lediglich 3,8 Prozentpunkte (vgl. Simonsen et al. 2016: 657).
Gerade auch in der Flüchtlingshilfe engagieren sich Personen, welche „vorwiegend weiblich, gut gebildet und wirtschaftlich in einer relativ sicheren Position“ (Karakayali/Kleist 2015: 4) sind. Da das Engagement häufig schon im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter beginnt, scheint es kohärent, dass SchülerInnen und Studierende im Ehrenamtsbereich der Flüchtlingshilfe überproportional aktiv sind (vgl. Simonsen et al. 2016: 72f; Karakayali/Kleist 2015: 4).
Studierende haben eine niedrige Schwelle ein Engagement zu beginnen, denn das soziale Umfeld von Studierenden ist meist ähnlich hoch gebildet, politisch interessiert und engagiert sich häufig freiwillig. Diese Aktivitäten aus dem direkten Lebensumfeld dienen als Orientierung für das eigene Engagement (vgl. Schenkel 2007: 116; Enquete Kommission 2002: 289).
„Ich habe halt auch schon viele Freunde [und] Freundinnen, die sich engagieren, auch ehrenamtlich. Auch in der Familie […].“ (Interview vom 31.10.2016: Engagierte in der Nachhilfe)
Auch das studienbedingte Interesse an sozialen oder politischen Zusammenhängen korrespondiert mit der Motivation zum Engagement (vgl. Interview vom 31.10.2016: Engagierte in der Nachhilfe; Wenzel et al. 2012: 56). Außerdem lässt sich vermuten, dass selbstorganisierte Studierendengruppen und -initiativen diesbezüglich einen Einfluss auf ihre Mitglieder haben, denn sie generieren eine Gruppenzugehörigkeit, welche die Bereitschaft ein freiwilliges Engagement aufzunehmen unterstützen kann (vgl. Wenzel et al. 2012: 55f; Enquete Kommission 2002: 295). Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass Studierende ein Interesse an einem zusätzlichen Erfahrungs- und Qualifikationsgewinn durch das Engagement haben, welcher für das spätere Berufsleben verwertbar ist (vgl. Interview vom 18.11.2016: ehrenamtliche Kursleiterin; Gensicke/Geiss 2010: 148; Düx/Sass: 2007).
Bei Studierenden liegt demzufolge ein großes Engagementpotential vor, welches sich auch in unseren Interviews wiederfinden lässt. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden insgesamt sieben (ehemalige) Studierende aus Nordrhein-Westfalen befragt, welche sich für Geflüchtete engagieren. Die leitfragengestützten Interviews fanden zwischen September und November 2016 statt und dauerten zwischen 20 und 50 Minuten. Ein Teil der Interviews kam über persönliche Kontakte zustande. Zusätzlich wurden studentische Organisationen kontaktiert, durch welche weitere engagierte Studierende für die Interviews gefunden werden konnten. Im Folgenden eine kurze Vorstellung der befragten Studierenden:
Studentin, Sozialwissenschaften, Köln: Organisatorin eines einmal wöchentlich stattfindenden Freizeit-Treffpunkts für Deutsche und Geflüchtete mit offenem Programm
Doktorandin, Rechtswissenschaften, Bochum: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe an der Ruhr-Universität
Architektin, Bochum: freiwillig Engagierte mit eigener Fluchterfahrung, die sich in den letzten zwei Jahren ein Engagiertennetzwerk abseits ihrer Universität (TU Dortmund) aufgebaut hat und mit unterschiedlichen lokalen, nationalen und internationalen Organisationen zusammenarbeitet
Doktorandin, Volkswirtschaftslehre, Bochum: freiwillig Engagierte bei der Studentischen Flüchtlingshilfe der Ruhr-Universität; vor allem aktiv bei der wöchentlichen Sprechstunde in einer Geflüchtetenunterkunft in Bochum
Studentin, Politikwissenschaften, Münster: Nachhilfelehrerin für Kinder von Geflüchteten; engagiert sich über eine lokale Organisation mit kirchlichem Träger
Studentin, Sozialwissenschaften, Bochum: Engagierte mit Migrationshintergrund, die über das International Office der Ruhr-Universität aktiv ist sowie in einem weiteren lokalen ehrenamtlichen Verein
Studentin, Theater- und Geschichtswissenschaften, Bochum: freiwillig engagierte Leiterin eines Deutschkurses für studieninteressierte Geflüchtete an der Ruhr-Universität
Freie Zeit ist keine Freizeit, sondern Zeit für Engagement
Zu Beginn unserer Forschung gingen wir davon aus, dass Studentinnen und Studenten eine flexiblere Zeiteinteilung haben. Theoretisch können sie sich aufgrund freier Zeitblöcke sowie einer geringen institutionellen Einbindung (z.B. durch fehlende Anwesenheitspflicht und offene Stundenplangestaltung) unabhängiger engagieren als Arbeitnehmende oder Schülerinnen und Schüler.
So berichten uns durchaus einige Befragte, dass sie sich für zeitintensive Aufgaben entschieden haben: es werden sowohl Sprachkursleitungen (4-8 Stunden/Woche), bei welcher die Verantwortung für den Ablauf einzelner Sitzungen, als auch leitende Posten, wobei die Organisation eines ganzen Projekts übernommen wird (10 Stunden/Woche), angenommen. Eine weitere Befragte organisiert einen wöchentlich stattfindenden Treffpunkt (2 Stunden/Woche) für etwa 20 Personen, welchen sie durch regelmäßige Ausflüge und zusätzliche Programme ergänzt.
Andere Befragte wählen gezielt zeitlich abgegrenzte Tätigkeiten, welche meist durch Organisationen vermittelt werden: Zum Beipiel engagiert sich eine Befragte einmal die Woche als Nachhilfelehrerin für Kinder von geflüchteten Eltern (1,5 Stunden/Woche). Die Studentische Flüchtlingshilfe an der Ruhr-Universität Bochum bietet ihren Engagierten an, sich zweimal im Monat für jeweils zwei Stunden für eine Sprechstunde in einem Geflüchtetenheim zu melden. Neben informativen Auskünften unterstützten sie Geflüchtete beispielsweise beim Ausfüllen von Formularen und dem Schreiben von deutschen Texten. Außerdem können sich die Studierenden für einzelne Begleitungstermine melden (Anmerk. 1).
Die Mehrheit der Befragten gibt darüber hinaus an, auch außerhalb der festen Engagementzeiten für Geflüchtete erreichbar zu sein sowie gelegentlich ergänzende Angebote ihrer Organisationen wahrzunehmen. Das Engagement erfährt dadurch eine Erweiterung in die Zeitbereiche, welche üblicherweise für andere Freizeitbeschäftigungen freigehalten würden. Mitunter umfasst das Engagement daher, wie bei der Studentin, die den Treffpunkt organisiert, durchschnittlich über 15 Stunden pro Woche.
Wenn das Engagement nicht über eine Organisation oder einen festen Treffpunkt, sondern frei gestaltet wird, ist eine konkrete Zeitangabe schwierig. Die ehemalige Studentin, die wir befragt haben, schätzt in diesem Kontext einen wöchentlichen Aufwand in Höhe von sechs bis zehn Stunden. Es könne jedoch vorkommen, dass sie für akute Fälle oder aufwendigere Reisen deutlich mehr Zeit aufwende (vgl. Interview am 30.09.2016: Engagierte mit eigenem Netzwerk).
Für den Lebenslauf…
Die Kontakte, die geknüpft und die Zusammenhänge, die im Zuge des Engagements verstanden werden, sind vielfältig. Dass freiwilliges Engagement sachbezogene, also kognitive und organisatorische Kompetenzen erweitert, wird in der Forschung und Praxis immer wieder hervorgehoben (vgl. Düx/Sass: 2007; Hansen 2008: 37ff). So sind die dabei erworbenen Qualifikationen auch für den eigenen Arbeitsmarkteinstieg der Studierenden interessant, denn informell erworbene Qualifikationen, gerne auch ‚Soft Skills‘ genannt, sind nicht zu unterschätzende Faktoren bei Bewerbungserfolgen (vgl. Gensicke/Geiss 2010: 148ff; Enquete Kommission 2002: 295).
Inzwischen werden zahlreiche Workshops und Weiterbildungen für Studierende angeboten, die das Engagement professionalisieren. Die Studentische Flüchtlingshilfe bietet zum Beispiel „Fortbildungen zum Thema Asylrecht […] [und] zum Thema Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen“ (Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe) für ihre Engagierten an, welche von Experten durchgeführt werden.
Auch die Universitäten selbst institutionalisieren das eigentlich freiwillige Engagement, indem sie beispielsweise das Leiten eines Deutschkurses als Berufsfeldpraktikum im Optionalbereich anrechnen (vgl. Interview am 18.11.2016: freiwillig engagierte Kursleiterin; Anmerk. 2) Außerdem wurde es der ehemaligen Jurastudentin mithilfe von Drittmitteln der Fakultät ermöglicht, die Organisation der Studentischen Flüchtlingshilfe an der Ruhr-Universität von einer vormals freiwilligen Tätigkeit zu einem Nebenjob mit zehn Wochenstunden auszubauen (vgl. Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe).
In den Interviews wurde deutlich, dass das freiwillige Engagement durchaus als eine Art Vorbereitung für das spätere Berufsleben angesehen wird. So wird einerseits das erworbene Wissen als wertvolle Ressource für den eigenen beruflichen Werdegang angesehen:
„Ich möchte halt auch in diesem Bereich verstärkt arbeiten und forschen, sodass ich auch praktisch beruflich so einen relativ guten Überblick auf der Arbeit […] haben [möchte], […] was für Initiativen und Ansprechpartner vorhanden sind.“ (Interview am 20.10.2016: Engagierte in der Studentischen Flüchtlingshilfe)
… oder ein Lernfeld fürs Leben?
Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, die Motive von Studierenden auf den Qualifikationserwerb für den eignen Werdegang zu reduzieren. Vielmehr herrscht häufig auch Interesse an Erfahrungen anderer Art vor, was wir hier als ‚Lernen fürs Leben‘ bezeichnen. Im Sinne der Enquete Kommission zur Zukunft des bürgerlichen Engagements sei das bürgerschaftliche Engagement ein Lernfeld, wobei die Qualifikation eher als „Effekt“ denn als Weiterbildung verstanden werden solle (vgl. Enquete Kommission 2002: 280f).
Der Austausch mit multikulturellen Gruppen und Personenkreisen hält für die Studierenden einen anderen Blickwinkel auf die aktuellen Problemlagen bereit, zum Beispiel vor Ort bei den Asylverfahren, aber auch in Syrien oder Eritrea. Die Kursleiterin findet es gut, „halt einen ganz anderen Zugang zu Informationen und Geschichten“ (Interview vom 18.11.2016: freiwillig engagierte Kursleiterin) zu haben, da man durch die nationale Presse nicht immer vollständig über die Geschehnisse in Kriegsregionen informiert werden könne. Die sich dadurch vollziehende Reflektion über politische und soziale Zusammenhänge führt nicht selten dazu, dass die Studierenden sich kritisch äußern:
„Dann finde ich es auch verkehrt, zu sagen, Wirtschaftsflüchtlinge vor allen Dingen, halt aus afrikanischen Ländern, haben kein Recht auf Asyl. Wo man sich dann irgendwie auch mal überlegen muss, welche Rolle spielen wir denn dabei.“ (Interview am 26.09.2016: Engagierte des Treffpunkts)
Einige der Befragten drücken auch ihre Bestürzung über die Situation in den Geflüchtetenunterkünften aus. Während ihres Engagement sind sie zu Besuch in Heimen, Containern oder Wohnungen und realisieren durch den Einblick in den Geflüchtetenalltag ihre Privilegien, z.B. das eigene WG-Zimmer, in welches man sich zurückziehen kann (vgl. Interview vom 31.10.2016: Engagierte in der Nachhilfe). Eine andere Befragte spricht von Dankbarkeit für das eigene Leben und dass sie „geerdet [wird], einfach durch die Menschen, die man da kennenlernt.“ (Interview am 18.11.2018: freiwillig engagierte Kursleiterin) Die Arbeit in der Flüchtlingshilfe führe dazu, dass sie „etwas lockerer und flexibler geworden, spontaner“ (vgl. Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe) sei, berichtet eine weitere Interviewte.
Dass Studierende an der Mitgestaltung bzw. der Zukunft der Gesellschaft interessiert sind, war eine unserer Hypothesen (vgl. Karakayali/Kleist 2015: 6). Durch die Interviews konnten wir feststellen, dass diese Motivation zwei Dimensionen hat: Zum einen sehen sie die gesellschaftliche Aufgabe, Ergänzungen zum staatlichen Angebot zu schaffen (z.B. Sprachkurse, Begleitung), zum anderen möchten die Studierenden den Geflüchteten eine Teilhabe an der deutschen Gesellschaft anbieten:
„Und deswegen habe ich dann gedacht, ich will das eigentlich gar nicht so schulisch machen, sondern […] quasi so einen Raum der Begegnung schaffen, einfach eine Plattform über die man sich treffen kann, über die man Leute kennenlernen kann, damit sich das Ganze ein bisschen mischt, weil das ist auch super wichtig.“ (Interview am 26.09.2016: Engagierte des Treffpunkts)
Den Treffpunkt anbieten zu können, bedeutet der Studentin viel. Sie hätte dadurch eine sinnstiftende Tätigkeit gefunden, in welcher sie im Vergleich zum Studium oder im Nebenjob aufgehe (vgl. ebd). Der Kontakt zwischen den Mitgliedern sei inzwischen sehr gut und gehe auch über die Treffen hinaus: „Man sieht auch wie diese Gruppe zusammenwächst, wie jeder ein Verantwortungsgefühl für die anderen irgendwie hat […]“ (ebd.). Aus dem Engagement ziehen somit auch die Geflüchteten positive Erfahrungen und Motivation, welche sich vice versa auch wieder auf die Engagierten übertragt (vgl. Schenkel 2007: 117). So empfiehlt die Kursleiterin „sich in dem Bereich zu engagieren, weil man […] in seiner gesamten Lehrertätigkeit nie wieder so motivierte, nette und freundliche Schüler haben [wird] wie eben in Flüchtlingssprachkursen.“
Im diesem Sinne kann das Engagement als ein informeller Lernort verstanden werden, in welchem die Studierenden „Kompetenzen persönlichkeitsbildender, sozialer und politischer, aber auch fachlicher Art“ (Düx/Sass 2007: 18) gewinnen. Die Verantwortungsübernahme für sich selbst und andere kann nicht gelehrt, sondern muss erfahren werden (vgl. Schenkel 2007: 111): Engagierte „lernen, Verantwortung zu übernehmen“ (Enquete Kommission 2002: 280) und binden die vielfältigen Eindrücke ganz individuell in ihren Alltag ein.
Engagierte Studierende als Vermittler zwischen den Kulturen
Wie effektiv und nachhaltig das Engagement Einzelner sein kann, wird deutlich am folgenden Beispiel: Eine bereits berufstätige junge Frau mit eigener Fluchterfahrung, die sich während ihres Studiums vor allem für ihre vom IS betroffene Heimatregion einsetzte, berichtet „[…], dass die Kontakte, die ich jetzt habe, ich habe ja auch in wirklich jeder Organisation […] Vertrauenspersonen drin, wo ich jetzt rund um die Uhr da anrufen kann. Auch Leute, die im Ausland sind.“ (Interview am 30.09.2016: Engagierte mit eigenem Netzwerk; Anmerk. 3)
Dieses gut funktionierende Netzwerk bestehe aus alten und neuen Kontakten und führe dazu, dass sie nach Deutschland geflohenen Personen gezielt Unterstützung anbieten könne: So leite sie Fälle mit besonderem Handlungsbedarf an erfahrene Organisationen weiter oder vermittle zwischen deutschen Institutionen und den Geflüchteten. Zusätzlich erführe die ehemalige Studentin immer recht zügig von neuen Problemlagen oder Bedürfnissen derjenigen aus ihrer Heimatregion. Mithilfe ihres Netzwerkes kann sie inzwischen schnell Hilfe vor Ort anfordern bzw. unterstützende Maßnahmen von Deutschland aus antreiben (z.B. den Transport von Hilfs- und Versorgungsgüter). Durch ihr Engagement schafft sie demnach ein Bewusstsein für spezielle kulturelle Besonderheiten und Bedürfnisse von Personen aus ihrer Heimatregion (vgl. Interview am 30.09.2016: Engagierte mit eigenem Netzwerk).
Studierende können, so wie alle Engagierten in der Flüchtlingshilfe, „als Meinungsmultiplikator eine aufklärende Rolle in der Gesellschaft […] übernehmen“ (Han-Broich 2015: 46). Die interkulturellen und demokratischen Kompetenzen, welche sie durch ihr Engagement gewonnen haben, führen dazu, dass sie gegenüber fremden Personen offener sind (vgl. Schenkel 2007: 111). Indem sie Erfahrungen mit anderen Kulturkreisen machen, deren Besonderheiten selbst erleben und diese Wahrnehmungen reflektieren, wird das ‚Fremde‘ Teil ihres Alltags:
„Und es ist auch total spannend, weil sich völlig neue Kulturkreise dadurch erschließen und man einfach direkteren Kontakt hat zu interkulturellen Erfahrungen und Austausch und ganz viele spannende Sachen erfährt.“ (Interview am 18.11.2018: freiwillig engagierte Kursleiterin)
Die Organisatorin des Treffpunkts für Geflüchtete und Deutsche, zum Beispiel, hat Interesse daran, ihre Einstellungen zu den Geflüchteten in ihrem sozialen Umfeld zu verbreiten. Denn durch den Anspruch, „[d]ass sie sich für die Schicksale interessieren, dass sie sich für Politik interessieren“ (Interview am 26.09.2016: Engagierte des Treffpunkts) sowie den Wunsch, dass sich die Kulturkreise mischen, generiere sie immer wieder Engagement aus ihrem Bekanntenkreis für die Flüchtlingshilfe (vgl. ebd.). Indem sich immer öfter kleine Netzwerke untereinander vermischen und gemeinsame Kooperationen gestalten, werden mehr und mehr Personen aus unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbereichen involviert (vgl. Granovetter 1973).
Begegnungen lassen aus Fremden Freunde werden. Diesen Aspekt nannten fast alle unsere Befragten und mit diesem Anspruch gestalten sie auch ihr Engagement. Integration sei nur möglich, wo auch interpersoneller Austausch stattfindet, denn durch den Kontakt zu Deutschen erlenen die Geflüchteten „Sprache, Verhalten, Normen, Werte und Erwartungen der aufnehmenden Gesellschaft kennen.“ (Han-Broich 2015: 46) Im Zuge dessen fällt es ihnen leichter, sich kognitiv-kulturell sowie sozial zu integrieren (vgl. Han-Broich 2015: 46; Enquete Kommission 2002: 290). So fordert eine Befragte, Geflüchtete „[..] mehr involvieren, ja, nicht nur willkommen heißen, sondern auch […] engagieren [zu] lassen.“ (Interview am 11.11.2016: Engagierte mit Migrationserfahrung)
Diese integrative Gesinnung führt dazu, dass Studierende eine vermittelnde Rolle zwischen der Aufnahmegesellschaft und den Geflüchteten einnehmen. Durch die Motivation, Freunde und Familie Teil ihres Engagements werden zu lassen, tragen sie demnach auch zur Aktivierung von neuen Engagierten bei (vgl. Enquete Kommission 2002: 289; Han-Broich 2015: 47). In diesem Kontext nehmen die Befragten gerne die Funktion eines Vorbildes ein:
„Ich mein, wenn man jemanden als Vorbild hat und sagt, bei dem funktioniert das ja auch gut und irgendwie zieht er da auch selber positive Sachen raus, dann guck ich doch vielleicht auch mal in die Richtung.“ (Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe)
Institutionelle Unterstützung des studentischen Engagements
Wie Universitäten das Engagement fördern
Da der konkrete Forschungsgegenstand unserer Arbeit die Universität sowie deren Studierenden bilden, folgt nun eine genaue Betrachtung der Möglichkeiten des Engagements im universitären Kontext. Hierbei richtet sich der Fokus demnach darauf, inwiefern die Universität außerhalb der von ihnen gewohnten Aufgaben Unterstützung bietet und somit die Soft Skills in Form eines freiwilligen Engagements vorantreibt – sei es mithilfe von Informationsveranstaltungen über Möglichkeiten, sich zu engagieren, eigens gegründeten Organisationen oder sonstigen Hilfestellungen.
Die qualitativ durchgeführten Interviews spiegeln hier ein vielfältiges Meinungsbild der Befragten darüber wider, wie unterschiedlich die Möglichkeiten sind, im universitären Kontext in der Flüchtlingshilfe aktiv zu werden. So macht beispielsweise ein Interview mit einer Engagierten der Universität zu Köln den Anschein, dass ihr die Universität keine konkreten Möglichkeiten aufzeige, sich über diese zu engagieren. Ihr Engagement entstand aus eigenem Antrieb, wodurch ein „Raum der Begegnung“ (Interview am 26.09.2016: Engagierte des Treffpunkts) geschaffen werden konnte. Auf die Frage, ob die Universität eine Rolle dabei gespielt hätte, antwortet die Interviewte mit den klaren Worten „Ne, gar nicht.“ (ebd.).
Für die Universität zu Köln entsteht noch mal ein anderer Eindruck, wenn man sich nicht nur auf die Aussagen der Interviewten beschränkt, sondern zusätzlich die Internetpräsenz betrachtet. Denn hier werden verschiedene Möglichkeiten des Engagements aufgelistet. Zudem wird zum Spenden für die universitätseigene Stiftung aufgerufen. Hier scheint die Förderung von Engagement von hoher Bedeutung zu sein, schließlich wurden viele Bereiche geschaffen, in denen die Studierenden tätig werden können, wie beispielsweise beim Vermitteln der Sprache, beim Unterstützen von Wissenschaftlern oder auch von Kindern und Jugendlichen (vgl. Universität zu Köln).
In dem Interview mit einer Engagierten, welche selber Fluchterfahrungen gemacht hat und ohne eine konkrete Organisation tätig ist, jedoch mit vielen verschiedenen kooperiert, wird zudem die TU Dortmund und deren Angebote thematisiert. Die Interviewte kann – vermutlich auch dadurch, dass sie ihr Studium bereits abgeschlossen hat – nicht eindeutig sagen, inwiefern man sich im universitären Kontext engagieren kann. Dass sie „davon nichts gehört [hat]“ (Interview am 30.09.2016: Engagierte mit eigenem Netzwerk) lässt vermuten, dass zumindest kein so großes Spektrum geschaffen worden ist.
Beim Hinzuziehen von Informationen aus dem Internet wird jedoch deutlich, dass die in Dortmund ansässige Universität keineswegs untätig bleibt. Allerdings sollte differenziert werden, um welche Art von Engagement seitens der Universitäten es sich handelt: Werden Plattformen für Studierende, oder direkt Angebote für die Geflüchteten geschaffen? Im Falle der TU Dortmund scheint letzteres zuzutreffen. Über Studierendeninitiativen speziell für Geflüchtete lässt sich im Internet nichts finden, jedoch erkennt auch die TU, dass auf die politische Situation reagiert werden sollte. Dies geschieht in Dortmund dadurch, dass Geflüchtete kostenlos in die Vorlesungen hinein schnuppern dürfen. Um ein Gasthörer zu sein, werden die Schwellen so niedrig gesetzt wie möglich, schließlich müssen keine Voraussetzungen hierfür erfüllt werden. Ein besonderes Programm, welches die TU außerdem geschaffen hat, nennt sich „Open Courses“ und richtet sich an ganze Familien. Inhalt dieses Programms sind neben einer Kinder-Uni öffentliche Vorträge zu verschiedensten Fächern (vgl. Pöting 2015).
Wiederum anders sehen die Möglichkeiten des Engagements bei der Ruhr-Universität Bochum aus. Eine der Interviewpartnerinnen ist mithilfe der studentischen Flüchtlingshilfe tätig geworden, obwohl sie selber nicht an dieser Universität studiert. Dennoch hat sie hier die Möglichkeit, ihr Engagement miteinbringen zu können, da dieses trotz des universitären Kontextes nicht auf Studierende beschränkt wurde. Auf die Frage, wieso die Befragte sich für die Studentische Flüchtlingshilfe entschieden hat, spricht sie die möglichen Tätigkeitsfelder an: Es werden auf der Internetseite „genau die Sachen aufgelistet“ (Interview am 20.10.2016: Engagierte in der Studentischen Flüchtlingshilfe), die sie sich für ihr Engagement vorstellen könne. So ist der Internetseite der Studentischen Flüchtlingshilfe ganz klar zu entnehmen, in welchen Situationen im Alltag die Studierenden helfen können: Beim Ausfüllen von Formularen, bei Übersetzungsarbeiten und bei der Kommunikation mit Deutschen, wie beispielsweise mit Ärzten oder Behörden (vgl. Studentische Flüchtlingshilfe der Ruhr-Universität Bochum).
Eine weitere Befragte antwortet auf die Frage sehr ähnlich: Dass „der große Teil von dem, was [sie macht] durch die Universität“ (Interview am 11.11.2016: Engagierte mit Migrationserfahrung) geschieht, verdeutlicht, wie essenziell die Möglichkeit ist, sich mithilfe dieser Institution zu engagieren. Auch in diesem Beispiel werden die universitären Angebote für ehrenamtliche Tätigkeiten gerne und offensichtlich auch viel genutzt. Dass die Befragte hervorhebt, dass ihre „Uni ganz viel [macht]“ (ebd.), verdeutlicht noch einmal, dass im Falle der Ruhr-Universität ein vielseitiger und einfacher Zugang zum Ehrenamt geschaffen worden ist. Eine andere Befragte der Ruhr-Universität führt dort Sprachkurse durch und betont die Rolle der Universität im Kontext ihres Engagements. Die Universität ist für sie „ein ganz wesentlicher Partner“ (Interview am 18.11.2016: freiwillig engagierte Kursleiterin) ihres Engagements, der ihr mit Rat zur Seite steht.
Aus Sicht der Interviewten, die bei einer langjährig verwurzelten Organisation mit kirchlichem Träger in Münster tätig ist und Nachhilfeunterricht gibt, hat die Universität keine Anreize für ihr Engagement geschaffen. Ihre Aussage „Aber selbst die Uni ist ja […] hier in Münster zumindest recht wenig präsent, was halt eben die Flüchtlinge und auch die Arbeit mit Flüchtlingen angeht“ (Interview am 31.10.2016: Engagierte in der Nachhilfe) zeigt, dass die Universität ihren Studierenden mehr Antrieb zum Engagement geben könnte. Jedoch stellt die Studentin infrage, inwiefern es überhaupt nötig sei, sich im universitären Kontext zu engagieren: Auf die Frage, was sie sich von ihrer Universität in Bezug auf ein ermöglichtes studentisches Engagement wünscht, fragt sie, ob es die Rolle der Universität sei, beispielsweise stärker zu informieren (ebd.).
Ein Blick auf die Internetseite der Münsteraner Universität verschafft noch mal ein anderes Bild darüber, wie engagiert diese wirklich ist. Die Westfälische Wilhelms-Universität setzt sich aktiv für Flüchtlinge ein, wobei der Fokus weniger darauf liegt, Studierende zum Engagement zu ermutigen. Vielmehr werden mithilfe der Universitätsgesellschaft Gelder akquiriert, um die Sprachförderung voranzubringen (vgl. Westfälische Wilhelms-Universität). Zudem wird unter dem Stichwort „Hochschulgruppen“ auf „Flüchtlinge Willkommen Münster“ und weitere Gruppen verwiesen, die sich engagieren (vgl. ebd.). Mit dem Verweis auf diese engagierten Gruppen sowie die Universitätsgesellschaft wird deutlich, dass die Universität in Münster keineswegs desinteressiert an den aktuellen Debatten und Geschehnissen ist, jedoch auf anderem Wege als die Ruhr-Universität Bochum damit umgeht. Letztere scheint sich stärker dafür einzusetzen, Studierende zum Engagement zu bewegen und hierfür neue Möglichkeiten ins Leben zu rufen.
Mithilfe dieser Antworten wird der Kontrast zwischen den Universitäten deutlich. Dass die Ruhr-Universität Bochum so schnell und vielseitig auf den Bedarf des Engagements reagiert, zeigt, dass sie dem Geist der Zeit folgt und auf den gesellschaftlichen Wandel angemessen zu reagieren scheint. Hiermit ist nicht nur den Geflüchteten geholfen sowie denjenigen, die Freude daran haben in der Gesellschaft etwas zu bewegen, sondern ebenfalls der Universität selber. Schließlich ist sie es, die Jahre später noch davon profitieren kann, Geflüchtete insbesondere mithilfe von Sprachkursen unterstützt zu haben, um sie bestenfalls durch ein Studium an die Institution zu binden.
Und wie unterstützt die Uni euch so?
Im Gegensatz zu der vorherigen Frage zielt diese weniger darauf ab, ob die Universität überhaupt Anreize zum Engagement schafft, sondern wie die Unterstützung aussieht, wenn generell Angebote für Studierende geschaffen wurden. Einige der Interviews verschaffen hierzu einen guten Eindruck, da konkrete unterstützende Maßnahmen genannt worden sind.
Eine der Befragten, welche ein professionelles Netzwerk an der Ruhr-Universität geschaffen hat und ihr Engagement somit zum Nebenjob machen konnte, nennt einige unterstützende Faktoren: so heißt es, dass die Juristische Fakultät die Druckkosten übernähme und der AStA Fördermittel bereitstelle, mit denen Fortbildungen finanziert werden können. Die Interviewte ergänzt, dass „die Uni [uns] vor allem mit der Werbung [unterstützt]“ (Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe). Die finanzielle Unterstützung durch die Universität wird ebenfalls von einer anderen Befragten betont, welche sich über die Studentische Flüchtlingshilfe der Ruhr-Universität engagiert. Diese haben „auch wirklich von der Uni viele Mittel bekommen […], beispielsweise eben Laptops.“ (Interview am 20.10.2016: Engagierte in der Studentischen Flüchtlingshilfe) Trotz der Tatsache, dass die Organisation nicht an die Uni gebunden ist, sondern eigenständig tätig ist, stellt die Ruhr-Universität offensichtlich insbesondere im Hinblick auf den finanziellen Aspekt einen wichtigen Partner dar. Des Weiteren würde die Organisation finanziell von der Stadt unterstützt werden.
Bei einer anderen Studentin, die sich ebenfalls mithilfe der Ruhr-Universität engagiert, beinhaltet die Hilfe nicht nur finanzielle Mittel, sondern vielmehr eine wichtige Anlaufstelle bei Problemen oder Unklarheiten jeglicher Art. So sagt sie, die Universität „ist natürlich auch immer ein wichtiger Ansprechpartner bei Fragen.“ (Interview am 18.11.2016: freiwillig engagierte Kursleiterin) Gerade dieser Aspekt ermutigt vermutlich viele Studierende, die sich vorstellen können, aktiv zu werde, dass auch in die Tat umzusetzen.
Da ein Engagement nicht bei allen Interviewten im universitären Kontext möglich ist, fällt dieses erfreuliche Urteil über die unterstützenden Maßnahmen der Universitäten nicht durchweg so positiv aus. Jedoch wird deutlich, dass jene Universitäten, die ein Engagement ermöglichen, auch eine wichtige Hilfestellung bieten – sei es aufgrund der finanziellen Mittel, welche stets einen hohen Stellenwert darstellen, um effektiv arbeiten zu können, oder als Ansprechpartner.
Die Rolle von Facebook & Co.
Dass die sozialen Netzwerke für die Organisation der Engagierten untereinander sehr wichtig sind, war kaum anders zu erwarten und bestätigt sich auch in einigen der Interviews. So ist für die Studentische Flüchtlingshilfe an der Ruhr-Universität Facebook von elementarer Bedeutung, weil darüber einzelne Aufgaben, wie beispielsweise das Begleiten zu Behörden, geregelt werden (vgl. Interview am 20.10.2016: Engagierte in der Studentischen Flüchtlingshilfe). Zudem wird Moodle, eine Onlineplattform der Ruhr-Universität, genannt. Eine Interviewte sagt, dass es „da einen Haufen Informationen“ (ebd.) gäbe, die dazu dienen, den Engagierten einen Überblick über alle Ansprechpartner und deren Tätigkeiten zu geben.
Plattformen wie Moodle oder auch Facebook stellen für die Vereinbarung gemeinsamer Treffen oder für die Strukturierung von Aufgabenbereichen schnelle Möglichkeiten dar, um diese zu kommunizieren und festzulegen. Es kristallisierte sich jedoch heraus, dass die Onlinekommunikation persönliche Treffen nicht ersetzen können und diese wichtig sind, um sich auszutauschen. Vor allem der Kontakt zu anderen Organisationen sei wichtig, um sich „gegenseitig auf dem Laufenden [zu halten]“ (Interview am 26.09.2016: Engagierte des Treffpunkts). Deshalb betont eine der Interviewten auch die Bedeutung der „regelmäßige[n] Netzwerktreffen“ (Interview am 06.10.2016: Organisatorin der Studentischen Flüchtlingshilfe), bei denen die Engagierten ihre Erfahrungen und Gedanken teilen können. Da die Schicksale der Geflüchteten jedem Einzelnen sehr nahegehen kann, ist ein persönlicher Austausch mit anderen weiterhin wichtig.
Die Studentin, die den Treffpunkt für Geflüchtete und Deutsche organisiert, betrachtet die überwiegende Nutzung der sozialen Medien kritisch. Ihr Angebot wird nämlich vor allem durch persönliche Kontakte und Freunde getragen, welche immer mal wieder neue Interessierte mitbringen. Sie resümiert, „dass es ganz oft am besten ist, wenn man persönlich in Kontakt tritt. Dass was am meisten zieht, das, was die Leute hält und bindet, das sind persönliche Gespräche.“ (Interview am 26.09.2016: Engagierte des Treffpunkts)
Resümee und Ausblick
Anhand unserer Interviews lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Studierende wichtige Akteure in der Flüchtlingshilfe in Nordrhein-Westfalen sind. Durch ihr regelmäßiges Engagement, welches sich auf verschiedene Bereiche ausdehnt, bieten sie eine wertvolle Unterstützung bei der Aufnahme und Integration von Geflüchteten sowie der Entlastung öffentlicher Einrichtungen. Für die im NOMOS Verlag erschienene Schriftenreihe „Migration & Integration“ leistet diese Erkenntnis einen wichtigen Beitrag zur Betrachtung relevanter Komponenten bei der Integration Geflüchteter. Schließlich sind es neben den politischen Rahmenbedingungen auch bestimmte Personengruppen, wie in diesem Falle Studierende, die mitbewirken, dass Neuankömmlinge ein gutes Leben in der neuen Heimat beginnen können. Die qualitative Forschung über engagierte Studierende im Bereich der Geflüchtetenarbeit trägt dazu bei, eine individuelle Einsicht in diese zu erhalten und zu erfahren, wodurch sie Erleichterung erfährt, aber auch wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Des Weiteren konnte die Universität als eine wichtige ‚Organisation‘ in diesem Bereich identifiziert werden, die ihre Studierenden sowohl monetär als auch persönlich unterstützt.
Zudem sollte hervorgehoben werden, dass das Engagement für Studierende – ähnlich wie bei anderen Engagiertengruppen auch – „Lern- und Erfahrungsräume“ (Schenkel 2007: 111) bereithält, in welchem vielseitige Kompetenzen erlernt und zahlreiche Erfahrungen gewonnen werden können: Neben dem Erwerb neuen Wissens, haben sie die Möglichkeiten sowohl berufliche als auch persönliche Netzwerke auszubauen. Darüber hinaus wird durch das Engagement eine Plattform bereitgestellt, um die Gesellschaft zu gestalten. Durch den interkulturellen Austausch lernen die Studierenden unter anderem auch eine weitere Perspektive auf die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ kennen, nämlich die der Geflüchteten selbst. In diesem Kontext sagen einige unserer Befragten, dass sie kritischer geworden wären: Einerseits würden sie die politischen Entscheidungen stärker hinterfragen, andererseits erwecke dies in ihnen ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Zukunft der deutschen Gesellschaft.
Im Jahre 2002 hielt die Enquete Kommission zur Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements noch fest: „Als Lernorte für […] Engagement haben [die Universitäten] nur einen geringen Stellenwert.“ (Enquete Kommission 2002: 295). Insofern forderte die Kommission deutsche Universitäten dazu auf, sich systematisch diesem Thema anzunehmen „und die eigenen Möglichkeiten zur Herausbildung und Beförderung bürgerschaftlicher Dispositionen und Kompetenzen [zu] prüfen“ (ebd.). Vor diesem Hintergrund scheint es den hier beleuchteten Universitäten gelungen zu sein eine „Engagements- und Anerkennungskultur“ zu etablieren und das freiwillige Engagement in den Universitätsalltag zu integrieren (vgl. ebd.). Insbesondere die studentischen Organisationen auf dem Campus spielen dabei eine große und bedeutende Rolle. Betont sei weiterhin, dass sich die Universitäten den Herausforderungen im Kontext der sogenannten ‚Flüchtlingskrise‘ gestellt und sich ganz im Sinne der Enquete Kommission fortentwickelt haben.
Darüber hinaus scheint die Ruhr-Universität Bochum zu erkennen, dass beispielsweise geflüchtete Syrer in wenigen Jahren deren Studierendenklientel sein könnten. Dass Universitäten sich damit profilieren können, Geflüchteten zu unterstützen, muss möglichenfalls an einigen Standorten noch erkannt werden. Jedoch darf selbstverständlich nicht vergessen bleiben, dass dies auch immer eine Frage der Kapazitäten von Räumen und Personal ist.
Dass Studierende tatkräftige Akteure in der Flüchtlingshilfe sind, war nicht anders zu erwarten. Ihr Potential wird seitens der Organisationen und Vereine abgerufen sowie von den (Bildungs)Institutionen gezielt gefördert. Damit kann allerdings auch eine klare Anforderung formuliert werden: Auch Menschen mit einem niedrigen Bildungsgrad sollten zu einem Engagement motiviert werden. Auf einer Rede anlässlich des „Europäischen Jahres der Freiwilligentätigkeit 2011“ sagte der damalige Bundespräsident Christian Wulff einmal, bürgerschaftliches Engagement „hält unsere Gemeinschaft zusammen.“ (Wulff 2011) Dies kann jedoch nur realisiert werden, wenn sich Menschen aus möglichst allen Bildungsschichten engagieren. Deshalb ist es zwar einerseits spannend zu sehen, inwiefern Personen aus der höheren Bildungsschicht unterstützt werden, andererseits ist es auch wichtig zu betonen, dass die Menschen niedrigerer Bildungsschichten ebenfalls die nötige Hilfestellung hierfür erhalten sollten (vgl. Schenkel 2007).
Gerade deshalb sollte das eigene Engagement immer mal wieder Thema in Gesprächen mit Freunden, aber auch Fremden sein. Denn je mehr darüber gesprochen wird, desto deutlicher wird, welche positiven Erfahrungen man dadurch sammeln kann. Eine unserer Befragten formulierte es schließlich so:
„[…] wenn mehr Studenten, wenn mehr Menschen in Deutschland sich engagieren, dann [sagen] sie im Endeffekt […]: Warum können sie [Anmerk.: die Geflüchteten] nicht hierbleiben?“ (Interview am 11.11.2016: Engagierte mit Migrationserfahrung)
Ein Beitrag von Anncharlott Nienhuys und Dorthe Flothmann
Anmerkungen
1 Auf Nachfrage bezüglich einer Evaluation der Studentischen Flüchtlingshilfe an der Ruhr-Universität Bochum berichtet die Organisatorin, dass das Engagement in letzter Zeit nachgelassen hätte. Sowohl neue als auch länger Engagierte würden sich seltener für die Termine in den Geflüchtetenheimen melden. Durch die Evaluation, welche eine sehr schwache Rückmeldung hatte, konnte festgestellt werden, dass diese teilnehmenden Studierenden aktuell weniger freie Zeit für das Engagement hätten, sich aber weiterhin dafür interessieren und sich nach Möglichkeit wieder regelmäßiger für die Termine melden würden.
2 Der Optionalbereich wird von der Ruhr-Universität folgendermaßen beschrieben: „Der Optionalbereich vermittelt Kompetenzen, die sowohl für eine wissenschaftliche Tätigkeit als auch für den außeruniversitären Arbeitsmarkt qualifizieren. Die weitgehende Wahlfreiheit dient der persönlichen Profilbildung, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender Internationalisierung. Zum Modulangebot gehören u.a. Fremdsprachen, Präsentations- und Kommunikationsangebote, Informationstechnologien, interdisziplinäre Module und Einblicke in andere Fächer sowie schul- und unterrichtsbezogene Module für angehende Lehrerinnen und Lehrer.“ (Ruhr-Universität Bochum 2017)
3 Die Engagierte mit eigenem Netzwerk arbeitet vor allem mit folgenden Organisationen zusammen:
- Diakonie Ruhr gGmbH
- Amnesty International Essen
- C.Y.C.I – The Liberation of Christian and Yazidi Children of Iraq
- Unicef Bremen
- Studentische Flüchtlingshilfe der RUB
- jesidischen Gemeinden sowie dem Zentralrat der Jesiden in Deutschland
Quellenverzeichnis
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