Ehrenamt mit Migrationserfahrung

Seit Jahren engagieren sich viele Menschen ehrenamtlich in Deutschland. Sei es politisch, bei ihrer Kirche oder, wie die meisten von ihnen, bei einem Sportverein (vgl. Evers, Klie, Roß 2015). So gaben beim Freiwilligen Survey 2014 43,6 Prozent der Befragten an, sich innerhalb des letzten Jahres ehrenamtlich betätigt zu haben. Besonders hoch war das Engagement bei Schülern und Menschen mit hoher Bildung. Auch die Motive, welche Menschen dazu bewegen ein Ehrenamt zu übernehmen, wurden untersucht. Das mit Abstand am häufigsten genannte Motiv war dabei Spaß zu haben (93,9 Prozent) (vgl. Simonson, Vogel, Tesch-Römer 2016: S. 38). Weitere wichtige Motive sind: Mit Menschen zusammenkommen, Gesellschaft mitgestallten und mit anderen Generationen zusammenkommen. Deutlich seltener wurden berufliche oder finanzielle Aspekte als Grund angegeben. 24,9 Prozent wollen beruflich vorankommen und nur 7,2 Prozent wollen etwas dazu verdienen (vgl. Simonson, Vogel, Tesch-Römer 2016: S. 38).

Dieser Essay beschäftigt sich nun mit den Motiven einer ganz speziellen Gruppe von Engagierten. Durch die Flüchtlingskrise und ihren Höhepunkt 2016 ist die Zahl der Engagierten im Bereich der Geflüchtetenhilfe stark angestiegen (vgl. Zajak, Gottschalk 2018: S. 7-19). Doch nicht nur Einheimische haben sich verstärkt engagiert. Auch immer mehr Menschen mit eigener Migrationserfahrung engagieren sich zunehmend. Dieser Essay untersucht ihre Motive und inwieweit sich diese von denen klassischer Engagierten unterscheiden. So stellte Pries zum Beispiel bereits fest, dass ehemalige Flüchtlinge ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit den neuen Flüchtlingen teilen wollen (vgl. Pries 2016: S. 168-182). Es wird den Fragen nachgegangen, welche Rolle die eigene Migrationserfahrung bei der Wahl eines Ehrenamtes spielte, ob diese Erfahrung einen Vorteil im Umgang mit Geflüchteten darstellt, welche Rolle eventuell die eigene Religion spielte und wie sie überhaupt dazu kamen, ein Ehrenamt zu übernehmen. Erste Ergebnisse zeigen, dass es teils deutliche Unterschiede in Umfang und Motiv zwischen klassischen Ehrenamtlichen und denen mit Migrationserfahrung/hintergrund gibt (vgl. Karakayali, Kleist 2015).

Der Essay baut dabei auf einem Videoprojekt auf, das im Rahmen des Seminars Lokales Engagement in der Geflüchtetenhilfe in europäischen Zusammenhängen an der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde. Im ersten Teil wird daher zunächst auf die Planung und Durchführung des Projekts eingegangen, was auch den Dreh des Videos und der Interviews sowie die Bearbeitung des Rohmaterials beinhaltet. Im zweiten Teil wird auf die Ergebnisse eingegangen sowie ein Vergleich zu den Motiven klassischer Ehrenamtler angestrebt. Im letzten Teil wird dann ein Fazit bezüglich des Projekts sowie der Ergebnisse gezogen.

Das Projekt

Ziel des Seminars war es, eine Minifallstudie zu dem Thema Geflüchtetenengagement durchzuführen und diese in einem fünf bis sechs minütigen wissenschaftlichen Videoclip zu verarbeiten. Unsere Gruppe entschied sich für das Thema Ehrenamt mit Migrationserfahrung. Erste Ideen wurden in einer Ideenskizze zusammengefasst. Wir interessierten uns für Menschen, die selbst ihre Heimat verlassen mussten und nun andere Geflüchtete unterstützen. Besonders interessierte uns die Frage, ob die eigene Migrationserfahrung, zum Beispiel die eigene Flucht, eine Rolle, für die Entscheidung ein Ehrenamt zu übernehmen, spielte. Da viele Geflüchtete aus arabischen Ländern stammen, stellte sich unweigerlich auch die Frage nach den religiösen Gründen. Da diese beim klassischen Ehrenamt eher selten eine Rolle spielen, fragten wir uns, ob sie bei Menschen mit muslimischem Hintergrund, zum Beispiel aus Syrien, eine wichtigere Rolle einnehmen. Des Weiteren interessierte uns, ob die eigene Erfahrung einen Vorteil im Umgang mit Geflüchteten darstellt.

Nachdem diese ersten Ideen für eine Minifallstudie zusammengetragen worden waren, ging es an die Auswahl der Organisation. Aufgrund persönlicher Kontakte viel die Wahl auf das Mentorenprojekt Bergisch Gladbach. Hierbei handelt es sich um ein Projekt der evangelischen Kirche Bergisch Gladbach welches in Kooperation mit der Stadt Bergisch Gladbach, der Aktion neue Nachbarn und der Caritas mehr als 60 ehrenamtliche Mentoren betreut, die wiederum über 40 Flüchtlingsfamilien unterstützen. Die Projektleiterin arrangierte ein Interview mit einer Ehrenamtlerin, die bereits vor vielen Jahren aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet war, und einem Ehrenamtler, der erst 2015 von Syrien nach Deutschland geflüchtet war.

Für die Interviews wurde ein Leitfaden mit Fragen nach der Tätigkeit, der Migrationserfahrung, der Religion und den persönlichen Motiven erstellt. Bei den Interviews stellte sich die Sprache als problematisch dar. Teilweise wurden die Fragen nicht richtig verstanden und mussten daraufhin vereinfacht erläutert werden. Außerdem musste beim ersten Interview die Aufnahme mehrmals unterbrochen werden, da die Befragte Teile ihrer Aussagen nicht vor laufender Kamera äußern wollte. Dadurch gingen einige Informationen für das spätere Video verloren. Ein weiterer Befragter entschied sich sogar dazu, dass er nicht gefilmt werden möchte. Glücklicherweise erklärte sich ein weiterer Ehrenamtler aus Syrien bereit, sich interviewen und filmen zu lassen.

Nachdem die Interviews abgedreht und nach ersten Ergebnissen dursichtet wurden, wurde die Moderation geplant. Diese wurde auf dem Gelände der Ruhr-Universität Bochum gedreht, um so den optischen Bezug zum wissenschaftlichen Hintergrund des Projekts herzustellen. Im Anschluss wurden die Aufnahmen mit dem Programm Davinci Resolve bearbeitet und zurechtgeschnitten. Das Resultat war ein ca. sieben minütiges Video welches, neben einer Einführung in die Thematik und der Forschungsfrage der Minifallstudie, die wichtigsten Ergebnisse der Interviews präsentiert.

Ergebnisse der Minifallstudie

Die erste Befragte gab an, Kinder aus Geflüchtetenfamilien in Mathe zu unterrichten. Sie selbst hatte Mathe im Iran studiert. Die beiden Ehrenamtlichen aus Syrien hingegen unterstützen Geflüchtete bei verschiedenen Angelegenheiten. So wurden Behörden- und Arztbesuche erwähnt bei denen sie vor allem als Dolmetscher fungieren. Bei allen drei Befragten spielen also die Sprachkenntnisse eine wichtige Rolle. Sie können demnach Aufgaben übernehmen, die klassische Ehrenamtler nur bedingt erfüllen können.

Bei der Frage nach der Rolle der eigenen Migrationserfahrung war besonders die Aussage der ersten Befragten interessant. Sie gab an, in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit die Möglichkeit zu sehen, etwas für die Hilfe, die sie selbst erfahren hatte, zurückgeben zu können. Sie selbst habe nichts gehabt, als sie in Deutschland ankam, und erfuhr ein großes Maß an Hilfsbereitschaft. Die beiden Ehrenamtlichen aus Syrien sprachen indes vor allem von ihren eigenen Erfahrungen und insbesondere den Problemen, die sie selbst erlebt haben, als sie nach Deutschland kamen. So wird zum Beispiel das Problem der Eröffnung eines Bankkontos erwähnt. Diese Probleme sehen sie als Motivation anderen Geflüchteten zu helfen, da sie gut verstehen und nachvollziehen können, in welcher Situation sich Flüchtlinge befinden.

Die Frage nach der Rolle der Religion wurde nur von den beiden Ehrenamtlichen aus Syrien beantwortet. Die erste Befragte wollte zu dem Thema leider keine Antwort vor der Kamera geben. Daher können ihre Aussagen nicht für die Ergebnisse dieser Minifallstudie verwendet werden. Dafür gaben die Ehrenamtlichen aus Syrien an, dass Religion durchaus eine wichtige Rolle in ihrem Leben und auch für die Entscheidung ein Ehrenamt zu übernehmen, spielte. Laut ihren Aussagen steht im Koran, dass sie hilfsbedürftigen Menschen helfen müssen. Daher war dies für sie eine weitere Motivation, ein Ehrenamt zu übernehmen.

Im Zusammenhang mit der Religion wurden die Interviewpartner gefragt, warum sie sich für eine religiöse Organisation entschieden haben und ob dies bewusst aus einem religiösen Aspekt geschah. Tatsächlich spielte dies für keinen der Befragten eine wichtige Rolle. Es waren eher Zufälle bzw. persönliche Kontakte, die sie zum Mentorenprojekt Bergisch Gladbach führten. Einer der Befragten wollte einfach nur helfen und war zunächst für das Rote Kreuz ehrenamtlich tätig, bevor er zum Mentorenprojekt kam. Auch der zweite Befragte aus Syrien hatte nach einer Möglichkeit gesucht, anderen Geflüchteten zu helfen. Er hatte vom Mentorenprojekt erfahren und fing dort ein Ehrenamt an, ohne sich nach anderen Organisationen umzuschauen.

Vergleich zum klassischen Ehrenamt

Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sind für die meisten Ehrenamtlichen der Spaß und das Zusammenkommen mit anderen Menschen die Hauptmotive ein Ehrenamt zu übernehmen. Allerdings stammen die Daten aus dem Jahr 2014, daher sind Motive, die eventuell durch die Flüchtlingskrise hervorgerufen wurden, nicht oder nur kaum abgedeckt. Wie sich in den Interviews gezeigt hat, spielen für Ehrenamtliche mit eigener Migrations- bzw. Fluchterfahrung eine große Rolle. Sei es, um etwas für die selbst erhaltene Hilfe zurückgeben zu können, oder weil man selbst mit vielen Problemen konfrontiert war und daher weiß, in welch schwieriger Situation sich Geflüchtete befinden. Bereits im Freiwilligen Survey von 2014 wurde auch ein Blick auf die Gruppe mit Migrationshintergrund geworfen. Dort Unterscheiden sich die Motive zu Menschen ohne Migrationshintergrund allerdings kaum. Lediglich die beruflichen und finanziellen Motive sind hier um einiges höher (vgl. Simonson, Vogel, Tesch-Römer 2016: S. 45).

Auch die Religion scheint im Gegensatz zum klassischen Engagement einen größeren Stellenwert einzunehmen. Zwar gaben nur zwei der Befragten an, dass sie eine Rolle spielte. Sie betonten aber, dass ihre Religion ihnen sagt, dass sie hilfsbedürftigen Menschen helfen müssen.

Insgesamt lässt sich vor allem festhalten, dass alle Befragten als Hauptmotiv angaben, anderen Geflüchteten helfen zu wollen. Dies wurde während den Interviews immer wieder betont.

Fazit

Auch wenn diese Minifallstudie keinen repräsentativen Anspruch erheben kann, zeigt sich, dass es anscheinend Unterschiede zwischen Ehrenamtlichen mit und ohne Migrationserfahrung gibt. Insbesondere die eigenen Erfahrungen, die bei der Ankunft und dem alltäglichen Leben in einem fremden Land gemacht wurden, scheinen ein wichtiges Motiv darzustellen. Sie kennen die Situation, in der sich Flüchtlinge befinden, und können daher besondere Aufgaben, wie das Dolmetschen, übernehmen. Die Religion kann hierbei eine wichtige Rolle spielen. Denn Menschen in Not zu helfen, ist kein ausschließlich religiöses Motiv, sondern kann auch aus der eigenen Moral und den gesellschaftlichen Werten und Normen entstehen.

Da der letzte Freiwilligen Survey von 2014 stammt, fehlen hier aktuelle Daten zum Thema Ehrenamt mit Migrationserfahrung. Daher wäre eine intensivere Forschung auf diesem Gebiet durchaus interessant.

Die Form des Videoabstracts bietet sich als interessante Alternative zu klassischen Ergebnispräsentationen an. Hier lassen sich mit Hilfe unterschiedlicher Mittel Ergebnisse anschaulich präsentieren und durch die Verbindung von gezeigtem und gesprochenem Material lassen sich Ergebnisse leicht verständlich aufzeigen. Allerdings ist die Produktion eines solchen Videos relativ zeitaufwendig und dürfte Ungeübte vor einige Herausforderungen stellen.

Ein Beitrag von Felix Peters

Literatur

Evers, Adalbert; Klie, Thomas; Roß, Paul-Stefan (2015): Die Vielfalt des Engagements. Eine Herausforderung an Gesellschaft und Politik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte (14-15)

Karakayali, Serhat (2017): ,Infra-Politik‘ der Willkommensgesellschaft. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen 30. Jg. 3/2017

Karakayali, Serhat; Kleist, Olaf (2015): Strukturen und Motive der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit in Deutschland. Berlin: BIM

Pries, L. (2016): Migration und Ankommen. Die Chancen der Flüchtlingsbewegung. Frankfurt/New York: Campus

Simonson, Julia; Vogel, Claudia; Tesch-Römer, Clemens (2016): Freiwilliges Engagement in Deutschland. Zusammenfassung zentraler Ergebnisse des Vierten Deutschen Freiwilligensurveys. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Uslucan, Haci-Halil (2015): Freiwilliges Engagement von Zuwanderern. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 65 (14-15)

Zajak, Sabrina; Gottschalk, Ines (Hg.) (2018): Flüchtlingshilfe als neues Engagementfeld. Chancen und Herausforderungen des Engagements für Geflüchtete. Baden-Baden: Nomos

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert