„Das nimmt uns halt niemand ab“

Engagement gegen „Rechts“ in Dortmund

Die politische Rechte hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie war zwar stets präsent, aber erst mit den parlamentarischen Erfolgen und neueren Erscheinungsformen in Europa und Nordamerika, rückte sie auch in breiteren Teilen der Gesellschaft in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. In Deutschland waren es zu Beginn beispielsweise die Proteste von Pegida oder die Aktionen der Identitären Bewegung. Mit der Bundestagswahl im September 2017 hat sich gezeigt, dass auch in Deutschland eine rechtspopulistische Partei den zweistelligen Einzug in den Bundestag schaffen kann, die in einem Bundesland sogar als stärkste Kraft hervorgegangen ist. In ganz Europa, so scheint es, werden rechte und rechtspopulistische Thesen wieder salonfähig.

Allerdings gerät dabei leicht aus dem Blick, dass Rechte in Deutschland auch schon vor Pegida und AfD Wirkmächtigkeit erlangen konnten. In Dortmund zum Beispiel, einer Hochburg des Neonazismus auch über NRW hinaus, gibt es eine organisierte rechte Szene, deren Kontinuitäten bis in die 1980er Jahre reichen. Auch ganz ohne „Metapolitik“, um eines der Schlagworte in der Neuen Rechten zu bedienen, gelang es hier Neonazis, sich festzusetzen und ihre Vorstellungen in Teilen zu verwirklichen. Im Zeitraum zwischen den Jahren 2000 und 2005 ermordeten Neonazis in Dortmund fünf Menschen. Mit Bezug auf den Stadtteil Dortmund-Dorstfeld schwärmen sie von einem angeblichen „Nazikiez“. Auch mit Organisationsverboten war der Szene nicht auf Dauer beizukommen.

Gleichzeitig findet sich in Dortmund eine Vielzahl an unterschiedlichen Akteur*innen, die sich gegen die rechte Szene engagieren. Ebenso zahlreich wie die Organisationen sind ihre Aktionsformen, ihre Analysen und Perspektiven auf die politische Rechte aber auch auf die eigene Tätigkeit. Diesen Umstand haben wir zum Anlass genommen, uns näher mit dem Engagement gegen „Rechts“ in Dortmund zu beschäftigen. Um einen möglichst breiten Eindruck zu gewinnen, führten wir daher problemzentrierte Interviews mit Vertreter*innen unterschiedlicher Gruppen sowie Aktionsformen durch. Wir wollten wissen, ob sich das Engagement gegen „Rechts“ von anderen Formen zivilgesellschaftlichen Engagements unterscheidet und verglichen daher unsere Ergebnisse mit bereits gewonnenen Erkenntnissen aus der Forschung. Unser Fokus lag dabei auf den Faktoren, die Engagement gegen „Rechts“ beeinflussen. Warum haben die Befragten begonnen, sich in Dortmund gegen Rechts zu engagieren? Warum tun sie das heute immer noch, nicht mehr oder anders?

Im folgenden Abschnitt Der Dortmunder Kontext versuchen wir zunächst, die Bedingungen zu umreißen, unter denen Engagement gegen „Rechts“ in Dortmund stattfindet. Dafür geben wir eine grobe Übersicht über die rechte Szene in Dortmund und ihre Entwicklung einerseits und eine ebenso grobe Übersicht über die verschiedenen Akteur*innen, die sich in der Stadt gegen „Rechts“ engagieren. Hier finden sich auch Erläuterungen zu unseren Interviewpartner*innen und ihren Engagementformen. Der Abschnitt Was sagt die Forschung? gibt einen kurzen Überblick über die Untersuchungen zu politischem Engagement, die wir herangezogen haben, um sie mit unseren Interviews zu vergleichen und eventuelle Spezifika des Engagements gegen Rechts herauszuarbeiten. Es folgt der vierte Abschnitt Untersuchungsergebnisse zu Faktoren…, der die Ergebnisse unserer Interviews behandelt. Dieser ist in drei kleine aufgeteilt. Sie beschäftigen sich jeweils mit den Faktoren, die für den Beginn des Engagements gegen „Rechts“ relevant waren, mit den Faktoren, die seine Aufrechterhaltung fördern und zuletzt mit Gründen, das eigene Engagement zu beenden oder zu ändern. Im Abschnitt Verbesserungsvorschläge wenden wir uns den Ideen unserer Interviewpartner*innen bezüglich der Frage, wie Engagement gegen „Rechts“ in Dortmund gefördert werden könnte, zu und zuletzt ziehen wir ein Fazit, in dem wir auszuwerten versuchen, ob und falls ja, welche Unterschiede es zum politischen Engagement allgemein gibt.

Zu beachten ist dabei, dass unsere Ergebnisse natürlich nur einen geringen Teil des breiten Spektrums der verschiedenen Akteur*innen im Engagement gegen „Rechts“ in Dortmund abbilden. Zusätzlich stellen unsere Befragten auch erstmal nur einzelne Stimmen innerhalb der von ihnen gewählten Engagementform dar. Außerdem ergeben sich mögliche Verzerrungen dadurch, dass unsere Interviewpartner*innen überwiegend männlich und mit einer Altersspannweite von 19 bis 29 Jahren auch verhältnismäßig jung waren.


Der Dortmunder Kontext

Die Neonazis…

Wenn vom Engagement gegen „Rechts“ die Rede in Dortmund ist, sollte auch grob umrissen werden, wie die rechte Szene in der Stadt aufgestellt ist. Die Wurzeln des organisierten Neonazismus‘ in Dortmund reichen bis in die 1980er Jahre zurück. Maßgeblichen Einfluss hatte damals die sogenannte „Borussenfront“, ein gewalttätiger Zusammenschluss von Neonazis und Hooligans des Fußballvereins Borussia Dortmund. Eine zentrale Figur war Siegfried Borchardt, welcher schon damals über Dortmund hinaus gut vernetzt war in der rechten Szene der BRD. Schon damals zählten Übergriffe etwa auf Migrant*innen zu den Aktivitäten der hiesigen Neonazis. Bis Ende der 1990er Jahre waren Neonazis in Dortmund mal mehr mal weniger aktiv, aber sie waren immer da und durch Personen wie Borchardt war eine Kontinuität immer gewährleistet.

Mit der Jahrtausendwende zeigten sich einige Umbrüche. Zunächst tötete der Neonazi Michael Berger in Dortmund und Waltrop am 14. Juni 2000 drei Polizist*innen und anschließend sich selbst. Die rechte Szene um Borchardt feierte ihn dafür. Mittlerweile als „Kameradschaft Dortmund“ organisiert, druckten sie Aufkleber mit der Aufschrift „3:1 für Deutschland“ und „Berger war ein Freund von uns“. In den Jahren 2003/2004 übernahmen dann jüngere Neonazis das Ruder in der Kameradschaft und setzten eine Modernisierung in Gang. Sie nannten sich fortan Nationaler Widerstand Dortmund (NWDO) und orientierten sich am Konzept der Autonomen Nationalisten. Sie übernahmen etwa Kleidungsstil, Aktionsformen und Habitus von linken Autonomen und mischten sie mit rechter Ideologie, die sie um eher links besetzte Felder wie Globalisierungskritik oder ökologische Themen erweiterten. Sie entdeckten das Internet als Plattform für sich und begannen, regelmäßig Aufmärsche in Dortmund zu organisieren, was bis dahin noch eine Seltenheit war. Im Stadtteil Dortmund-Dorstfeld versuchten sie einen Angstraum für Migrant*innen und antifaschistisch Engagierte zu etablieren.

2005 wurde der Punk Thomas Schulz durch einen Neonazi erstochen. Der Täter wurde wie Berger fünf Jahre zuvor vom Rest der Szene für seine Tat gefeiert. 2006 ermordete der NSU den Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık. Darüber hinaus machten die Neonazis aus Dortmund immer wieder durch Angriffe etwa auf die alternative Kneipe Hirsch-Q oder die 1. Mai-Demonstration des DGB 2009 auf sich aufmerksam.

Im August 2012 wurde der NWDO letztendlich verboten, seine Mitglieder organisierten sich jedoch bereits kurz darauf in der Kleinstpartei Die Rechte. Von nun an operierten sie zwar unter neuem Namen, jedoch blieben ihre Handlungsfelder im Wesentlichen gleich. Sie betreiben einen Versand für rechte Propaganda, unterhalten eine eigene Nachrichtenseite und organisieren weiterhin Aufmärsche von bundesweiter Bedeutung (vgl. Weiermann 2014).

2016 holten sie mit dem sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ ein jährliches Neonazi-Event nach Dortmund. Sie sind in Deutschland und international gut vernetzt und seit der Kommunalwahl 2014 auch im Stadtrat und Bezirksräten vertreten. Mit der in Dortmund eher unbedeutenden NPD konnten sie eine Ratsgruppe bilden und darüber finanzielle Mittel einstreichen. Sie deklarieren Stadtteile, allen voran Dorstfeld, als „Nazikieze“. In der rechten Szene genießen die Dortmunder Neonazis Anerkennung. Inzwischen können sie es sich sogar leisten, neben dem Die Rechte-Verband auch wieder

Kameradschaftsstrukturen wie die Aktionsgruppe Dortmund-West zu unterhalten und verfügen auch wieder über Immobilien. In NRW dürfte es kaum eine andere Stadt mit einer derart organisierten rechten Szene und Infrastruktur geben. Und in kaum einer anderen Stadt ist rechte Gewalt so präsent. Im Jahr 2015 zählte die Landesregierung NRW im Bereich der politisch motivierten Kriminalität rechts (PMK-rechts) 255 Gewaltdelikte. „Spitzenreiter“ unter den Tatorten ist mit einigem Abstand auf den Zweitplatzierten,

Wuppertal (27 Gewaltdelikte), die Stadt Dortmund mit insgesamt 42 Taten. Auch im Bereich Bedrohungen/Nötigungen/Sachbeschädigungen führt Dortmund die Tabelle mit insgesamt 49 Taten vor Köln und Wuppertal (jeweils 19 Delikte) an.

 … und ihre Gegner*innen

Trotz der Bedrohungen durch eine gewalttätige Neonaziszene, die sogar Morde begangen hat, verfügt Dortmund jedoch auch über eine Vielzahl an Akteur*innen, die sich gegen „Rechts“ engagieren. Die Stadt Dortmund gab 2007 einen Aktionsplan in Auftrag. 2008 folgte die Einrichtung einer Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Es gibt eine Opfer- (BackUp) und eine Ausstiegsberatung (ComeBack). Es gibt mehrere sogenannte Schulen ohne Rassismus in Dortmund. Die Kirchen, Gewerkschaften und viele der Parteien engagieren sich ebenso gegen „Rechts“ wie Organisationen von Migrant*innen oder der BVB. Es gibt Festivals, die sich explizit gegen „Rechts“ richten, wie das Bunt statt Braun Open Air in Dortmund. Darüber hinaus bringen sich auch Institutionen wie das Schauspiel Dortmund in Proteste gegen Neonazis ein. Mehrere zivilgesellschaftliche Bündnisse organisieren solche Proteste. Dazu gehören zum Beispiel das Bündnis Dortmund Nazifrei – Bündnis demokratisches Dortmund, das Bündnis Dortmund gegen Rechts oder das BlockaDO-Bündnis. Es gibt in Dortmund gleich mehrere linke und AntifaGruppen, die gegen Neonazis aktiv sind. 2016 gab es als Reaktion auf mehrere Angriffe auf Personen aus dem linken Spektrum, die in einer Messerattacke auf einen 24-Jährigen gipfelten, außerdem eine breite Kampagne mit dem Titel „Es reicht!“, die unter anderem zwei Demonstrationen gegen rechte Gewalt organisierte (vgl. BlockaDO 2016).

Eine vollständige Aufzählung aller Akteur*innen ist jedoch schlicht nicht möglich. Das liegt zum einen daran, dass die bundesweite Relevanz der Neonazis es vielen Vereinen und Institutionen unmöglich macht, sich nicht mit dem Thema zu beschäftigen und zum anderen daran, dass viele Menschen auch einfach als Einzelpersonen aktiv werden und sich nicht in einer bestimmten Organisation oder Gruppe engagieren. Es ist so also kaum möglich alle Akteur*innen zu erfassen und vermutlich auch wenig sinnvoll. Wir gehen davon aus, dass wir die zentralen Akteur*innen in unserer Auflistung erfasst haben.

Die verschiedenen Akteur*innen unterschieden sich zusätzlich nicht nur hinsichtlich ihrer Organisationsform. Das wird auch bei unseren Interviewpartner*innen deutlich, deren Namen und Geschichten wir anonymisieren. Im Folgenden werden wir sie „I1“, „I2“ und so weiter nennen. I1 engagiert sich etwa im Streetart-Bereich gegen „Rechts“. Das umfasst etwa das Sprühen von Graffiti, das Kleben von Plakaten und Aufklebern und natürlich das Übermalen oder Entfernen der Aufkleber oder Graffiti von Neonazis. I2 ist in einer Antifa-Gruppe aktiv. Das umfasst in diesem konkreten Beispiel etwa das Organisieren von Protesten gegen Aufmärsche, Öffentlichkeitsarbeit und im Zweifel auch die physische

Auseinandersetzung mit Neonazis. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass sich Antifa-Gruppen mitunter stark voneinander unterscheiden. Aktionsformen, Ziele, Ausrichtung und so weiter hängen stets von den jeweiligen Mitgliedern einer Gruppe ab. I3 war ursprünglich in einer anderen Stadt in einer sogenannten Recherchegruppe aktiv und führt dieses Engagement nebenbei als Einzelperson in Dortmund fort. Die Betätigung solcher Gruppen umfasst z.B. das Sammeln und gezielte Veröffentlichen von Informationen über die rechte Szene, ihre Strukturen und Mitglieder. Sie unterscheiden sich etwa hinsichtlich ihrer Verwendung der Informationen und ihrer Adressat*innen, mit denen gewonnenes Wissen geteilt wird (allgemeine Öffentlichkeit, Stadtteil, eigene Szene, …). Unter anderem in einer Jugendorganisation einer Partei engagiert sich I4. Dabei ist das Engagement gegen „Rechts“ nur ein Teil seiner politischen Arbeit. Die Beteiligung an Protesten gehört ebenso dazu wie etwa Aufklärungsarbeit an Schulen. I5 hingegen hat sich lose mit Freund*innen engagiert, Flugblätter verteilt und Demonstrationen besucht.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass das Engagement gegen „Rechts“ vor allem durch ein Merkmal gekennzeichnet ist: Vielfalt – sowohl hinsichtlich der Organisations- als auch der Aktionsformen. Und ideologische Unterschiede oder das Verhältnis zu Fragen von Militanz zum Beispiel sind dabei noch außen vor gelassen.

Was sagt die Forschung?

Es gibt unterschiedliche Untersuchungen zu der Frage, warum sich Menschen sozial oder politisch engagieren. Wir beziehen uns schwerpunktmäßig auf die FES-Jugendstudie 2015, da diese sich mit ihrer Untersuchung des politischen Engagements junger Menschen sehr gut für den Vergleich mit unseren Befragten eignet. So unterscheiden Wolfgang Gaiser und Johann de Rijke in der Studie etwa zunächst verschiedene Arten von Faktoren, die ein politisches Engagement begünstigen: Ressourcen, Motivationen und soziale Netze.

Die Kategorie ‚Ressourcen‘ bezieht sich auf Eigenschaften wie das Geschlecht, Alter, Migrationshintergrund oder Bildung. Vor allem dem letzten Faktor wird dabei eine hohe Relevanz beigemessen (vgl. Gaiser / de Rijke 2015: 69). Da diese Punkte in unserer Untersuchung allerdings nicht abgefragt wurden, sparen wir uns an dieser Stelle weitere Ausführungen.

In der Kategorie ‚Motivationen‘ wird die Einschätzung von Jugendlichen zu ihrer Selbstwirksamkeit aufgeführt. Damit ist „die Bereitschaft zu individueller Verantwortungsübernahme und dem Gefühl der relativen Sicherheit, eigene Entscheidungen und Handlungen durchsetzen zu können“ (Gaiser / de Rijke 2015: 63) gemeint. Weiterhin spielen kritische Wertorientierungen und das Vertrauen in politische Institutionen eine Rolle für die Wahl des Engagements. In der Studie werden konventionelles (etwa in einer Partei) und unkonventionelles (in unserem Fall etwa die Aktivität in einer Antifagruppe) unterschieden. Geringes Vertrauen in politische Institutionen begünstige die Hinwendung zu unkonventionellem Engagement. Als wichtigsten Punkt stellen Gaiser und de Rijke jedoch das Vorhandensein von politischem Interesse in den Vordergrund. Damit könnten etwa auch fehlende Ressourcen oder soziale Netze kompensiert werden (vgl. Gaiser / de Rijke 2015: 68).

Zuletzt können auch soziale Netze die Bereitschaft zu politischem Engagement beeinflussen. Hierzu heißt es: „Konventionelle Partizipation und noch stärker unkonventionelle Partizipation wird gefördert, wenn ausreichende soziale Netze mit politisch aktiven Freunden oder Freundinnen vorhanden sind“ (Gaiser / de Rijke 2015: 69). Im Rahmen derselben Studie stellt Achim Schröder noch einige weitere Faktoren fest wie etwa den Einfluss der Familie, der Schule, besonderer biografischer Ereignisse (vgl. Schröder 2015: 110 ff.) oder die Anerkennung durch andere (vgl. Schröder 2015: 127f.).

Als Faktoren, die das Fortsetzen eines Engagements bei jungen Menschen begünstigen, führen Katharina Sandbrink und Jacob Steinwede eine intrinsische Motivation auf der einen Seite und die individuelle Fähigkeit, Probleme, die mit dem Engagement etwa im Alltag einhergehen, zu überwinden, auf der anderen Seite an. Für die intrinsische Motivation sind zudem „[spezifische] Erfahrungen von Engagement-‚Erfolgen‘“ (Sandbrink / Steinwede 2015: 102) relevant.

Ergänzend zu den Ergebnissen der Jugendstudie lohnt sich ein Blick in andere Untersuchungen zum Engagement gegen „Rechts“. Bezogen auf die Beteiligten an Protesten gegen Pegida-Demonstrationen – und damit schon näher am Engagement unserer Befragten – stellt etwa Simon Teune fest, dass dort ein Ziel sei „den Widerspruch sichtbar und Pegida den öffentlichen Raum streitig zu machen“ (Teune 2016).

Untersuchungsergebnisse zu Faktoren…

 … für den Einstieg in das Engagement gegen „Rechts“

Eine zentrale Frage in unserem Projekt war die nach den Gründen für den Einstieg ins Engagement gegen „Rechts“. Hier verwiesen drei der Befragten auf Erfahrungen mit Rassismus oder rechter Gewalt. Sei es etwa, weil befreundete Personen z.B. mit Migrationshintergrund rassistisch beleidigt wurden oder sie selbst von Neonazis aufgrund ihrer politischen Haltung oder Ähnlichem bedroht wurden. So rückte für die meisten Befragten das Thema „Rechts“ in den Vordergrund. Die Erfahrung von Ausgrenzung und/oder rechter Gewalt im eigenen Freund*innenkreis oder am eigenen Leib spielt eindeutig eine große Rolle für die Entscheidung, sich gegen die politische Rechte zu engagieren. So beschreibt etwa I3 ausführlich die Situation in seinem*ihrem Heimatort,

„dass Leute da auch immer wieder angegriffen worden sind von Neonazis – auf dem Nachhauseweg nach der Schule, vom Fußballtraining“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Aber auch die indirekte Erfahrung rechter Gewalt kann die Beschäftigung mit dem Thema anstoßen:

„[…] also hier in Dortmund ist ja vor 12 Jahren ein Punk erstochen worden. Das hab‘ ich damals noch in meiner Schulzeit durchaus mitbekommen und […] fand das halt richtig, gegen rechte Gewalt was zu machen.“ (Interview I2 20.09.2017: Antifa-Mitglied)

Eine Rolle scheint auch zu spielen, dass der Umgang des Rests der Gesellschaft mit Neonazis und rechter Gewalt als mangelhaft wahrgenommen wird. So kann etwa der Wunsch bestehen, zu informieren, „weil ja auch das Thema […] in der Öffentlichkeit nicht so gewürdigt wird, wie es sollte“ (Interview I5 28.09.2017: Freund*innenkreis). Das Gefühl, selbst aktiv werden zu müssen, steht hier im Vordergrund. In einem Fall hat so auch das Fehlen von Unterstützung nach Angriffen von Neonazis zur Selbstorganisierung der Betroffenen geführt: „Das nimmt uns halt niemand ab“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Mangelnde Aufmerksamkeit aus der Zivilgesellschaft und fehlende Strafverfolgung durch die Polizei führten zu der Wahrnehmung, „dass Neonazis aus einer […] Konsequenzlosigkeit heraus agieren können.“ (ebd.)

Das Engagement gegen „Rechts“ kann dabei auch als Mittel verstanden werden, um sich die Bedingungen für eigenes politisches Handeln zu schaffen, dass ansonsten von rechter Gewalt bedroht wäre:

„Das war so der Punkt, wo mir klar geworden ist, ich kann in dieser Stadt nicht einfach so tun, als wären die Nazis nicht da und einfach Sachen […] tun, die mich interessieren, sondern ich komm‘ nicht drum herum, mich hier in einer Antifagruppe zu organisieren und den Raum überhaupt erst zu schaffen für andere Politikfelder […]“

(Interview I2 20.09.2017: Antifa-Mitglied). Hier geht es also auch darum, den Einfluss der Rechten auf die Gestaltung der eigenen politischen Handlungsmöglichkeiten zurückzudrängen.

Einen zweiten wichtigen Faktor stellt das soziale Umfeld dar. Das kann die Familie sein, in der „es ’ne Selbstverständlichkeit [war], Neonazis und viele ihrer Vorstellungen, also so Rassismus, Antisemitismus und so weiter abzulehnen“ (Interview I3 20.09.2017:

Recherchegruppe). Das kann aber auch der Freund*innenkreis sein, in dem „es irgendwie dazugehörte, dass man da so ein-, zweimal im Jahr auf Demos gefahren ist und sich da natürlich auch mehr mit der Thematik auseinandergesetzt hat“ (Interview I5 28.09.2017: Freund*innenkreis). Das Umfeld spielte eine wichtige Rolle dabei, die Interviewten zu politisieren und für das Engagement gegen „Rechts“ zu sensibilisieren. Auch das Umfeld im Jugendzentrum (vgl. Interview I4 14.09.2017: Parteijugend) oder Liebesbeziehungen (vgl. Interview I5 28.09.2017: Freund*innenkreis) können Gründe sein, in das Engagement gegen „Rechts“ einzusteigen. Allerdings war es in diesen beiden Fällen keineswegs so, dass die Personen quasi in das Engagement hineingezogen worden wären. Eine ablehnende Haltung gegen rechte Ideologie war bereits vorhanden. Vielmehr ermöglichte der Kontakt mit Gleichgesinnten Gelegenheiten, aktiv zu werden.

Aber auch andere Einflüsse können die Beschäftigung mit Engagement gegen „Rechts“ anstoßen. Beispielsweise erklärte I1, er*sie sei über Musik und Aufkleber „an politischere Dinge ‚rangetragen worden und hab‘ diese dann eben auch selber mir angeeignet und mich dann weiterhin befasst“ (Interview I1 12.09.2017: Streetart). Aufklärung über Neonazis oder Nationalsozialismus im Schulunterricht etwa nimmt in den Erzählungen der Interviewten hingegen eine eher untergeordnete Rolle ein. Vielmehr scheint dieser bereits gewecktes Interesse weiter zu bestärken (vgl. I4 14.09.2017: Parteijugend) – zumindest im Falle unserer Befragten.

 … für das bestehende Engagement

Auf die Frage, warum sich die interviewten Personen auch weiterhin gegen „Rechts“ engagieren, haben wir von unseren Befragten oft zunächst eine ähnliche Antwort bekommen: Rassismus, rechte Gewalt und rechte Ideologie allgemein seien immer noch aktuelle Probleme, gegen welche vorgegangen werden müsse. Zentral für eine Fortsetzung des Engagements ist also offenbar die Überzeugung von der Notwendigkeit desselben. Mit den Worten eines*einer Befragten:

„Und die Arbeit ist halt einfach wichtig und deshalb mache ich halt weiter so. Es gibt diese Leute [Anm.: Neonazis] immer noch, es werden immer noch Menschen von denen angegriffen, es werden immer noch Menschen von denen umgebracht, insofern erklärt sich das, finde ich, dann auch von selbst, weiterhin dagegen aktiv zu bleiben.“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe)

Das Erleben rechter Gewalt kann auch ein Faktor sein, der Menschen dazu motiviert, sich weiterhin zu engagieren. Für I2 ist es ein Grund, die Auseinandersetzung mit der politischen Rechten fortzusetzen, dass

„es hier seit Jahrzehnten eine sehr starke und gut organisierte Neonaziszene gibt, die immer wieder mit teilweise gewalttätigen, teilweise auch einfach provokanten Aktionen auffällt, die konkret auch Leute bedroht und auch aus meinem persönlichen Umfeld Leute bedroht.“ (Interview I2 20.09.2017: Antifa-Gruppe)

Neben der Motivation, sich und andere vor Gewalt durch Rechte zu schützen, scheint – wenig verwunderlich – ein zweiter wichtiger Faktor dafür, dass Menschen gegen „Rechts“ aktiv bleiben, eine grundlegende politische Überzeugung zu sein. Dazu kann einfach die prinzipielle Ablehnung von Rassismus gehören (vgl. Interview I4 14.09.2017: Parteijugend) oder auch das Streben nach einer Welt, „in der Diskriminierung, rechte Ideologie und Gewalt nicht mehr vorhanden sind“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Es wird also eine generelle Unvereinbarkeit der eigenen Überzeugungen mit rechten Gesellschaftsentwürfen erklärt.

Ein uneindeutiger Faktor scheint die Anerkennung durch andere zu sein. Zwar kann das persönliche Erfahren von Bestätigung sehr motivierend wirken, wie zum Beispiel ein*e Befragte*r erklärt:

„[M]an weiß dann halt auch, dass es das Richtige ist, was man tut, weil, wenn so jemand [Anm.: gemeint ist Anti-Apartheid-Aktivist Denis Goldberg] zum Beispiel das für gut befindet und da froh drüber ist, dann kann das ja eigentlich gar nicht falsch sein“ (Interview I5 28.09.2017: Freund*innenkreis).

Andererseits scheint sie keine notwendige Bedingung für das Fortführen von Engagement gegen „Rechts“ zu sein, da einige der Befragten sogar zugunsten ihres Engagements bewusst auf diese verzichten:

„Manche wissen auch einfach nur, dass ich mich allgemein irgendwie gegen „Rechts“ einsetze. […] Und ich finde das auch okay so. Gibt zwar weniger Anerkennung, aber was wir machen, ist natürlich auch nicht ganz ungefährlich“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe),

„Ich bin eher unerkannt unterwegs, als mein Gesicht in jede Kamera zu halten“ (Interview I1 12.09.2017: Streetart).

In diesen Fällen spielt natürlich auch der Schutz vor Neonazis und staatlicher Strafverfolgung eine große Rolle, weshalb die Anonymität vorgezogen wird. Außerdem nehmen sie in Kauf, dass ihr Engagement zumindest in Teilen der Öffentlichkeit nicht auf Gegenliebe stößt:

„Natürlich polarisieren wir und das wollen wir ja auch“ (Interview I2 20.09.2017: Antifagruppe).

In einigen Interviews finden sich zwar auch Hinweise darauf, dass die Bestätigung eher aus dem sozialen Umfeld kommt. In den Familien und Freund*innenkreisen etwa scheint Engagement gegen „Rechts“ im Allgemeinen in den meisten Fällen jedenfalls einigen Rückhalt zu genießen. Allerdings wird hier auch häufig eingeräumt, dass nicht immer alle Details des eigenen Engagements bekannt sind: „[I]ch schmier‘ jetzt nicht jedem alles auf’s Brot“ (ebd.)

Die Rolle der wahr- oder angenommenen Wirkung des eigenen Engagements für die Aufrechterhaltung desselben konnten wir nur unzureichend untersuchen. Zwar heißt es in einem Interview, auf die Frage, ob die eigene Tätigkeit einen Effekt erzielen würde: „[…] sonst würd‘ ich’s nicht machen“ (Interview I1 12.09.2017: Streetart). Allerdings fehlt uns in unseren Interviews ein Beispiel für das Fehlen dieser Wirkung bzw. für wahr- oder angenommenes Scheitern. Alle Befragten waren sich einig, dass ihr Engagement positive Folgen in ihrem Sinne zeige. Diese reichen von dem einfachen Zurückdrängen von Neonazis im öffentlichen Raum oder der Werbung für die eigenen politischen Inhalte (vgl. ebd.) bis hin zu einer wahrgenommenen Steigerung der Sensibilität für die Problematik der rechten Szene vor Ort (vgl. Interviews I2 und I3). Hier fließt auch mit ein, dass das eigene Engagement in einigen Fällen als Teil einer größeren Gegenbewegung verstanden wird:

„[…] das ist ja ’ne Arbeit, die unzählige Gruppen und Personen weltweit und eben auch allein mehrere hier vor Ort [Anm.: gemeint ist in diesem Fall der Heimatort der Person] machen“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe).

 … für das Beenden/Ändern des Engagements

Während alle Personen angaben, sich nach wie vor gegen „Rechts“ zu engagieren, stellt ein Fall doch eine Besonderheit dar. So entschloss sich eine*r der Befragten dazu, die Art ihres*seines Engagements zu ändern. Von der Teilnahme an Demonstrationen und anderen Protestaktionen verlagerte er*sie das Engagement eher in den privaten Bereich: das Widersprechen gegen rechte Sprüche etwa im eigenen Alltag. Interessant ist dabei, dass rechte Gewalt, die in mehreren anderen Interviews eher als Grund für den Beginn oder die Fortsetzung eines Engagements gegen „Rechts“ eine Rolle spielte, in diesem Fall die umgekehrte Wirkung erzielte. „Vorfälle […], wo es halt auch darum ging, [dass] mein Wohl gefährdet war“ (Interview I5 28.09.2017: Freund*innenkreis) führten dazu, dass das Engagement sich von der Öffentlichkeit in den privaten Alltag verlagerte. Möglicherweise trug dazu auch bei, dass laut I5

„man […] halt immer zwangsläufig irgendwie mit der Polizei zusammen[stößt]. Was dann natürlich auch dazu geführt hat, dass ich schon in der Gefangenensammelstelle saß“ (ebd.).

Dies wiederum bewirkte, dass Eltern und soziales Umfeld sich „sehr viele Sorgen“ (ebd.) machten.

Verbesserungsvorschläge

Zum Schluss fragten wir unsere Interviewpartner*innen nach Verbesserungsvorschlägen, nach Möglichkeiten, die Rahmenbedingungen für ihr Engagement zu verbessern. Die Antworten lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen. Auf der einen Seite finden sich mehr oder weniger konkrete Wünsche, die an bestimmte Institutionen gerichtet sind, auf der anderen Seite eher etwas abstraktere, die sich an die Gesamtgesellschaft richten. Letztere können allerdings auch mit konkreteren Vorschlägen verbunden sein.

Unter den konkreten Verbesserungsvorschlägen wurde am häufigsten genannt, dass „Menschen, insbesondere junge Menschen, die sich antifaschistisch engagieren, nicht aufgrund einer Teilnahme an einer Demonstration direkt kriminalisiert werden“ (Interview I4 14.09.2017: Parteijugend) sollten. Im Fokus der Kritik steht dabei meistens die Polizei, der Appell wird aber auch an die Stadtverwaltung und Medien gerichtet:

„Das wäre aber auch gut, wenn in den Medien […] nicht immer nur von solchen Dingen wie ‚der schwarze Block‘ oder […] sagen wir mal ‚gewaltbereiten Demonstranten‘ gesprochen wird, weil es ist mitnichten so, dass alle Menschen, die in schwarzen Klamotten auf eine Demonstration gehen, gewaltbereit sind. Genauso wenig wie alle, die bunt sind, nicht gewaltbereit sind. Also da wird sehr viel mit Vorurteilen gearbeitet“ (ebd.).

Die Kritik adressiert jedoch auch Akteur*innen, die sich ebenfalls gegen „Rechts“ engagieren. In einem Fall wurde sich etwa ausdrücklich gewünscht, „auch von Seiten anderer zivilgesellschaftlicher Akteure Denunzierungen staatsferner Politik zu beenden“ (Interview I2 20.09.2017: Antifagruppe). In einem anderen Fall wurden Wünsche auch an die eigene Szene gerichtet. So wurde zum Beispiel bemängelt,

„dass sich die Antifa-Szene […] da wenig Gefallen mit tut, wenn sie so auftritt, wie sie es in Hamburg [Anm.: gemeint sind Teile der Proteste gegen den G20-Gipfel] zum Beispiel getan [hat]“ (Interview I5 28.09.2017 : Freund*innenkreis).

Eng verbunden mit dem Aspekt der Kriminalisierung ist auch der Appell vor allem an Stadt und Polizei, damit aufzuhören, den Engagierten „Steine in den Weg zu legen“ (ebd.). Insbesondere an die Polizei gerichtet ist dabei der Wunsch „Einsatztaktiken […], die darauf ausgelegt sind, antifaschistischen Protest zu behindern, grundsätzlich zu versuchen, Neonaziaufmärsche in Dortmund frei von Gegenprotesten zu ermöglichen“ (ebd.) zu verwerfen.

„[E]in bisschen mehr Gelassenheit im Umgang mit unserem Protest beispielsweise gegen Naziaufmärsche funktioniert in anderen Städten ja auch. Warum also nicht auch in Dortmund?“ (ebd.)

Dazu kommen einzelne Wünsche etwa nach einer Bereitstellung von Mitteln „für ungebundene Arbeit“ (ebd.). Hier zeigt sich auch ein Problem, das auf die Organisations- und Aktionsformen der meisten Befragten zutrifft: mit ihrer Unabhängigkeit von Parteien, Kirchen oder Ähnlichem geht auch die geringere Verfügbarkeit von Ressourcen (Geld, Räumlichkeiten etc.) einher. Auch der Wunsch nach größerer Anerkennung der Engagementform – weniger des persönlichen Engagements – wurde genannt (vgl. Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe).

Etwas weiter gefasst aber ähnlich häufig wie einen Abbau von Kriminalisierung wünschten sich die Befragten, dass mehr Menschen sich gegen „Rechts“ engagieren sollten. Allerdings gaben sie dabei nicht das eine, „richtige“ Engagement vor (beispielsweise ihr eigenes), sondern überlassen die Wahl den Menschen, an die sie ihren Appell richten: „Sei es auf der Straße, am Arbeitsplatz oder halt eben als Recherchegruppe. Hauptsache, sich den Mist nicht einfach nur ‚reinziehen und weitergehen“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Als konkrete Vorschläge, um das zu unterstützen, plädieren die Befragten für mehr politische Bildung, damit die Menschen „feststellen, dass Menschen nunmal […] Menschen sind und nicht irgendwer, nur weil er woanders herkommt oder anders aussieht und wen anders liebt, ’n anderer, schlechterer Mensch ist“ (Interview I1 12.09.2017: Streetart). Aufklärung über rechte Ideologie „würde unser Engagement nicht direkt fördern, aber vielleicht irgendwann mal überflüssig machen. Ja, ich glaube, damit wäre schon einiges getan“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Hier schlägt sich offenbar auch die Kritik an einer als untätig wahrgenommenen Zivilgesellschaft nieder, die ein Faktor für den Beginn des eigenen Engagements darstellte (vgl. ebd.).

Interessant finden wir, dass zwar in einzelnen Interviews eine wahrgenommene mangelnde Strafverfolgung gegenüber rechter Gewalt als Motivation genannt wurde, selbst aktiv zu werden (vgl. ebd.). Allerdings wurden keine diesbezüglichen Verbesserungsvorschläge gemacht. Die Gründe dafür können wir nur vermuten. Eine gewisse Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen und insbesondere gegenüber der Polizei spielt hier möglicherweise eine Rolle.

Es kann also festgehalten werden, dass die wichtigsten Punkte aus Sicht der Befragten weniger Kriminalisierung und mehr politische Bildung und Aufklärung sind. Auch eine Erweiterung ihrer Spielräume hinsichtlich der Möglichkeiten von Gegenprotest wird von mehreren Befragten geteilt. Allerdings wurde in den Antworten auch mehrmals betont, dass sich die Befragten bezüglich der Umsetzung ihrer Vorschläge „keine Illusionen“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe) machen würden. So wird etwa in Bezug auf den Abbau von Kriminalisierung konstatiert: „Wird natürlich nicht passieren, fänd‘ ich aber sehr gut“ (Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Hier zeigt sich, dass einige der Befragten – insbesondere von Seiten der Polizei – nicht (mehr) damit rechnen, dass Verbesserungen von dort ausgehen. Das mag zum Teil ideologische Gründe haben, wir vermuten aber, dass hier auch die Faktoren, die für den Einstieg in das Engagement wichtig waren, eine Rolle spielen. Insbesondere die Enttäuschung über eine wahrgenommene mangelhafte Auseinandersetzung mit dem Problem rechter Gewalt seitens Zivilgesellschaft und Polizei, die letztlich zu der Überzeugung geführt hat, dass nur durch das eigene Engagement die Situation verbessert werden könne (vgl. Abschnitt 3.1), halten wir für eine plausible Erklärung für die geringe Hoffnung, die einige Befragte bezüglich der Umsetzung ihrer Verbesserungsvorschläge äußern. Vielleicht wäre dies ja eine schöne Überraschung für diese Engagierten, wenn sich Polizei und Stadtverwaltung für das Jahr 2018 vornehmen würden, hier auf die Engagierten zuzugehen.

Fazit

Der Vergleich der Ergebnisse der FES-Jugendstudie mit denen unserer Interviews zeigt, dass das Engagement gegen Rechts in Dortmund hinsichtlich der Faktoren, die für den Einstieg ins Engagement begünstigend wirken, in vielen Punkten übereinstimmt. So spielen etwa die sozialen Netze in Form von Freund*innenkreisen, aber auch die Familien beim Engagement gegen Rechts eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eindeutig hat das Engagement gegen „Rechts“ mit politischem Engagement im Allgemeinen auch die Bereitschaft zur individuellen Verantwortungsübernahme und die Annahme von Selbstwirksamkeit gemeinsam. Einige Befragten sehen es etwa in ihrer Verantwortung, Neonazis Konsequenzen für gewalttätige Angriffe spüren zu lassen. Der Faktor des Verlusts des Vertrauens in politische Institutionen wird in abgewandelter Form ebenfalls geteilt. In unseren Interviews geht es eher um ein mangelndes Vertrauen in Institutionen wie die Polizei, die den Entschluss, sich zu engagieren bekräftigte. Die Schule als Einflussfaktor hingegen ist für unsere Befragten eher nebensächlich geblieben. Sie verstärkt eher schon bestehendes Interesse.

Das Bedürfnis, Rechten den Raum streitig zu machen (vgl. Teune 2016), kommt im Engagement im Streetart-Bereich quasi in Reinform zum Ausdruck. Das politische Interesse, dessen Bedeutung in der FES-Studie hervorgehoben wird, findet sein Äquivalent in der politischen Überzeugung unserer Befragten, die einen wichtigen Faktor für das Fortsetzen des Engagements darstellte.

Faktoren wie die Anerkennung durch andere stellen sich in den Interviews als ambivalent dar, da mehrere Befragte anonym aktiv sind. Für sie spielt die persönliche Anerkennung scheinbar eine untergeordnete Rolle im Vergleich zur Anerkennung der Arbeit, die die gesamte Gruppe leistet (vgl.  Interview I3 20.09.2017: Recherchegruppe). Auch lassen sich keine sicheren Aussagen zur Rolle von Engagement-„Erfolgen“ treffen. Zwar sind sich die Befragten einig, dass ihr Engagement eine Wirkung erzielt, aber es fehlen die Gegenbeispiele: Personen etwa, die ihr Engagement beendet haben, weil sie ihr Engagement als nutzlos erfahren haben und die so die These von der Bedeutung von Erfolgen stützen würden.

Ein eindeutiges Spezifikum des Engagements gegen Rechts in Dortmund stellt die Konfrontation mit rechter Gewalt oder (rassistischer) Ausgrenzung dar. Zwar ließe sich diese im Sinne der Jugendstudie als besonderes biographisches Ereignis verbuchen, in anderen Bereichen des politischen Engagements dürfte die Wahrscheinlichkeit des Erlebens von unmittelbarer Gewalt allerdings wesentlich geringer sein. Darüber hinaus kann rechte Gewalt eine sehr vielseitige Funktion erfüllen. Sie kann den Beginn von Engagement hervorrufen, eine Rolle für dessen Fortführen spielen oder auch das Beenden oder Ändern des Engagements bewirken. Diverse Faktoren, die die Befragten dazu brachten, aktiv zu werden, hängen direkt oder indirekt mit der Konfrontation mit rechter Gewalt zusammen. Darunter fallen zum Beispiel der Wunsch, sich selbst und andere zu schützen, die erfahrene mangelnde Unterstützung seitens Polizei und Zivilgesellschaft oder der Versuch, sich die Möglichkeiten für politisches Engagement zu schaffen, das andernfalls von Angriffen durch Neonazis bedroht wäre.

Fragt man also nach möglichen Spezifika des Engagements gegen Rechts im Vergleich zu anderen Formen des politischen Engagements, dürfte die Erfahrung rechter Gewalt und von Ausgrenzung die naheliegendste Antwort sein. Von ihr hängen viele andere Faktoren ab. Außerdem stellt sie ein sehr spezifisches biographisches Ereignis dar. Rechte Gewalt stellt für einige der Befragten ein existentielles Problem dar. Sie erzwang in gewisser Weise geradezu (auch aufgrund von Rahmenbedingungen wie wahrgenommener mangelnder Strafverfolgung), selbst aktiv zu werden. Selbst im Bereich des Engagements gegen Rechts dürfte Dortmund mit seiner gewalttätigen Neonaziszene in der Region von diesem Phänomen besonders betroffen sein. Eventuell erklärt sich so auch die große Anzahl an Akteur*innen, die sich gegen die rechte Szene engagieren. Eine mögliche Schlussfolgerung könnte sein, dass es sich dann weniger um ein biographisches Ereignis handelt, dass für das Engagement eine Rolle spielt, als vielmehr um ein strukturelles Merkmal dieses Engagements.

Auf der Basis der Interviews lässt sich also abschließend festhalten, dass sich das Engagement gegen „Rechts“ hinsichtlich der Faktoren, die es begünstigen, in großen Teilen mit denen überschneidet, die für politisches Engagement im Allgemeinen eine Rolle spielen. Eine hervorgehobene Position wird allerdings dem Erleben von rechter Gewalt und Ausgrenzung, ob direkt oder indirekt, zuteil. Unserer Ansicht nach kann hier durchaus von einem Spezifikum gesprochen werden. Gerade in den Bereichen, in denen Individuen anonym agieren (auch hier spielt rechte Gewalt bzw. der Schutz davor wieder eine Rolle), wäre zudem genauer zu untersuchen, welche Rolle der Faktor Anerkennung spielt. Unsere eigenen Ergebnisse wären hier durch weitere Untersuchungen noch ausbaufähig.

Die rechte Szene in Dortmund wird wohl nicht in naher Zukunft verschwinden. Ebenso wahrscheinlich ist, dass weiterhin Menschen Opfer von rechter Gewalt werden. Sicher ist allerdings, dass sich immer wieder jene zusammenfinden werden, die dem Einhalt gebieten wollen.

Literatur

BackUp – ComeBack, Westfälischer Verein für die offensive Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus e.V., 3 Auflage (2015): Dortmund: Alter Hass in neuen Kleidern, [online] http://www.backup-comeback.de/images/2015-11/Alter_Hass_in_neuen_Kleidern_Auflage_3.pdf [03.01.2018].

BlockaDO (2016): Es reicht!, [online] http://www.blockado.info/es-reicht/ [07.01.2018].

Gaiser, Wolfgang / Rijke, Johann de (2015): Jugend und politische Partizipation heute. In: Wolfgang Gaiser et. al. (Hrsg.): Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen. Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn, S. 50-71.

Ölcüm, Gülseren; Gerding, Florian; Paro, Henrik (2016): Nazis in Dortmund-Dorstfeld | Y-Kollektiv Dokumentation, [online] https://www.youtube.com/watch?v=i-KO7nsjuBQ [03.01.2018].

Platzek, Ilka; Mühlhof, Stefan (2011): Dortmund: Aktionsplan gegen Rechtsextremismus Gegen rechte Gewalt und Terror in Dortmund, [online] https://www1.wdr.de/archiv/am-rechten-rand/dortmundaktionsplan100.html [03.01.2018].

Sandbrink, Katharina / Steinwede, Jacob (2015): Qualitative Interviews mit engagierten jungen Menschen. In: Wolfgang Gaiser et. al. (Hrsg.): Jung – politisch – aktiv?! Politische

Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen. Ergebnisse der FESJugendstudie 2015. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn, S. 93-106.

Schröder, Achim (2015): „In kleinen Schritten die Welt verändern“ – Ausgewählte Qualitative Daten der FES-Jugendstudie 2015 und ihre biographische Deutung. In: Wolfgang Gaiser et. al. (Hrsg.): Jung – politisch – aktiv?! Politische Einstellungen und politisches Engagement junger Menschen. Ergebnisse der FES-Jugendstudie 2015. Bonn: Verlag J.H.W. Dietz Nachf. Bonn, S. 107-130.

Teune, Simon (2016): Zwischen Hetze und Hilfe. Die Einwanderung von Geflüchteten als zivilgesellschaftliches Konfliktfeld. In: Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit 1/2016. Schwalbach am Taunus: Wochenschau Verlag, S. 48-58.

Weiermann, Sebastian (2014): Dortmund: Neonazis seit über 30 Jahren, [online] https://www.ruhrbarone.de/dortmund-neonazismus-seit-ueber-30-jahren/79797 [03.01.2018].

Bild-/ Grafikquellen

Bild 1: https://pixabay.com/de/nazi-demonstration-schild-plakat-301527/ [03.01.2018].

Grafik 1: https://birgit-rydlewski.de/2016/03/17/straftaten-nach-pmk-rechts-im-jahr-2015/ [03.01.2018].

Grafik 2: https://birgit-rydlewski.de/2016/03/17/straftaten-nach-pmk-rechts-im-jahr-2015/ [03.01.2018].

Ein Gedanke zu „„Das nimmt uns halt niemand ab“

  1. Menschi

    Meiner Meinung nach sollte Politik als Schulfach stärker in den Fokus der Bildung rücken und zu einem Hauptfach in allen Schulformen umstrukturiert werden. So könnte ein tieferes Bewusstsein zur Demokratie in der Gesellschaft entstehen, welches radikalen Einflüssen frühzeitig entgegenwirkt.

    Dementsprechend sollte man auch beachten, dass z. B. Engagement gegen „Rechts“ junge Menschen nicht in eine andere Form des Fundamentalismus treibt. Eine bessere Zusammenarbeit zwischen engagierten Menschen und staatlichen Institutionen ist in diesem Zusammenhang wünschenswert.

    Engagement gegen „Rechts“ macht nur dann Sinn, wenn Gewalt nicht gefördert wird und die Aufmerksamkeit dieser Gruppierungen nicht zu sehr in den Fokus der medialen Berichterstattung rückt.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Menschi Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert