Die vorliegende Ausarbeitung beschäftigt sich mit dem Thema des bürgerlichen Engagements bezüglich der Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Menschen. Der Fokus ist auf die Integration in den Arbeitsmarkt durch die Engagierten gerichtet und somit auch auf die Frage, ob die bürgerlich Engagierten in dem o.g. Tätigkeitsbereich als sogenannte „Lückenfüller/innen“ des deutschen Staates gesehen werden. Geflüchtete in den Arbeitsmarkt zu integrieren, ist in der Wissenschaft ein diskutierter Themenbereich und trägt auch enorm zu der Integration in die deutsche Gesellschaft, Kultur und den Alltag bei, weshalb die Beschäftigung mit diesem Thema in meinen Interessen liegt.
Das Essay ist wie folgt aufgebaut: Zunächst wird in das Thema kurz eingeleitet und unser Interviewpartner und die Tätigkeitsfelder der Engagierten vorgestellt. Anschließend wird auf das Engagement bezüglich der Arbeitsmarktintegration eingegangen. Damit zusammenhängend wird auf die Diskussion bezüglich des „Lückenfüller/innen“ der Engagierten eingegangen. Abschließend wird alles zusammengefasst und eine eigene Stellungnahme festgehalten.
Der demographische Wandel, der durch die stark zunehmenden asylsuchenden und/oder geflüchteten Menschen im Herbst 2015 entstanden ist, hat in Deutschland öffentliche Aufmerksamkeit in der Politik, aber auch in der gesamten Gesellschaft ausgelöst. Mit diesem großen Flüchtlingsstrom zusammen, haben sich auch viele Bürger „von heute auf morgen“ bereit erklärt freiwilliges Engagement in der Flüchtlingshilfe zu leisten (vgl. Pfeffer-Hoffmann 2016: 39). So wie auch unser Interviewpartner Bruno H. (Pensionierter Lehrer)[1]:
„[…] [Ich] bin 2015 in die Flüchtlingsarbeit eingestiegen, weil hier im Ort Ennepetal – das liegt bei Hagen – praktisch über Nacht 150 Flüchtlinge aus aller Herrenländer, der Stadt zugewiesen wurden. Die Stadt war relativ kooperativ und kreativ, hat ziemlich schnell eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten organisiert. Und wir haben im Grunde die Stadt dabei unterstützt.“ (Vgl. Video 1.1: 0:48)
Dadurch, dass sich viele Bürger bereit erklärt haben, ehrenamtliches Engagement in der Flüchtlingsarbeit zu leisten, wurden auch neue Hilfeorganisationen bzw. Stiftungen gegründet, die sich speziell dafür einsetzen, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht. Damit wurde auch das Soli-Flüchtlingsfond gegründet, welche beispielsweise bei der Stadt Ennepetal eine beliebte Telefonnummer geworden ist, wenn es darum geht, die Stadt zu unterstützen, im finanziellen sowie im materiellen Sinne (vgl. Interview 1.1: 2:20).
Organisationen, in denen ehrenamtliche tätig sind, unterstützen jedoch nicht nur die Stadt und den Staat, sie haben eine sehr wichtige Rolle im alltäglichen Leben der Geflüchteten. Damit sie überhaupt in der Gesellschaft „Fuß fassen“ und sich integrieren können, unterstützen Ehrenamtliche dabei „ […] Sprachbarrieren abzubauen, kulturelle Gepflogenheiten kennenzulernen, den Umgang mit Behörden zu meistern und leisten wichtige psychologische Hilfestellungen.“ (Vgl. Gottschalk/ Zajak 2018: 15). Und auch unser Interviewpartner bestätigt die oben genannten Punkte und ergänzt zusätzlich noch, dass sie auch bei der Jobsuche helfen, wo sie nur können (Interview 1.1: 9:10). Als Einstiegshilfe in die Arbeitswelt sowie auch in den Alltag, dient eine Fahrradwerkstatt, für die der Soli-Flüchtlingsfond in Ennepetal bekannt ist:
„Learning by doing – sie fragen, kann ich mal dieses Gerät da haben, also eine Zange oder ein Schraubenschlüssel und dann lernen sie das. Sie lernen auch Fahrrad fahren, sie machen Verkehrserziehung und natürlich müssen sie lernen in Deutschland und in dieser Kleinstadt zu fahren“ (Interview 1.1: 8:47).
Denn Forschungen haben gezeigt, dass es Flüchtlingen sehr schwer gelingt, in den Arbeitsmarkt einzutreten (vgl. Johansson 2016: 27). Durch die Hobbywerkstatt, die der Soli-Flüchtlings-Fond bietet, lernen die Flüchtlinge handwerklich geschickt zu arbeiten, Arbeitssicherheit oder -umgang, und müssen sich gezwungenermaßen der deutschen Sprache versuchen zu bedienen. Gleichzeitig entstehen Kontaktknüpfungen mit diversen Menschen.
Nach einer qualitativen Studie (von IAB, DIW und BAMPF) ist eine hohe Bildungs-, Erwerbs- und Integrationsmotivation der Flüchtlinge zu erkennen (vgl. Pfeffer-Hoffmann 2016: 40). Also zählt auch die Erwerbstätigkeit als einer der wichtigen Einflussfaktor auf die Integration der Geflüchteten und bestätigend dazu, die Stellungnahme unseres engagierten Interviewpartners: „Das ist das oberste Ziel: Nachdem Grundkurse in den Sprachen praktisch bewältigt worden sind, geht es darum, wie kriegen wir die Leute in Beschäftigung oder Ausbildung“ (Bruno H. Interview 1.2: 2:20). Und auch in der o.g. qualitativen Studie wird „[…] das Erlernen der deutschen Sprache als den wichtigsten Schlüssel für den Zugang zum Arbeitsmarkt und zu anderen Teilen des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland“ betrachtet und von allen Befragten so wahrgenommen (vgl. Pfeffer-Hoffmann 2016: 40). So werden sprachliche Deutschkenntnisse als eine „erfolgreiche Integration in und durch Arbeit (Pfeffer-Hoffmann 2016: 45) festgelegt/datiert. Bestätigend dazu fügt Bruno H. noch bei: „Beruflich tätig sein, heißt Sprache.“ (Interview 1.3: 1.39).
Jedoch haben es Geflüchtete dennoch nicht leicht auf dem Arbeitsmarkt, da zunächst eine bürokratische Herausforderung auf sie zukommt, wie beispielsweise das Asylverfahren, Duldungen etc. So berichtet auch unser Interviewpartner:
„Also es geht eigentlich grundlegend […] in der ganzen Flüchtlingsarbeit um zwei Sachen: Einmal, dass die Leute eine Struktur kriegen, auch eine Tagesstruktur. Es gibt Leute, die warten auf irgendwas, was sie gar nicht nennen können und die brauchen eine Struktur. Also sie müssen bestimmte Termine haben, bestimmte Verpflichtungen und nicht nur durch die Ämter. Das Zweite ist die Perspektive: Einige, die haben keine Perspektive, […] zum Beispiel keine Bleibeperspektive, keine Duldung vorhanden.“ (Interview 1.2: 11:17)
So muss ein anerkannter Aufenthaltsstatus (Asylsuchende, Asylbewerber/-innen, Asylberechtigte, Gedultete) existieren, damit die Geflüchteten eine Möglichkeit und eine Chance haben sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren. Flüchtlinge mit einer offiziellen Aufenthaltserlaubnis, haben rechtlich gesehen einen Zugang zum Arbeitsmarkt (vgl. Pfeffer-Hoffmann 2016: 48f.).
Diesen Problemen, Hürden und dem Bürokratiechaos versuchen die Engagierten mit den Flüchtlingen zusammen zu bewältigen, jedoch fällt dieses Unterfangen unter anderem auch in den staatlichen Verantwortungsbereich und wird durch viel Bürokratie noch mehr für Flüchtlinge und Engagierte erschwert (vgl. Gottschalk & Zajak 2018: 10), weshalb unser Interviewpartner und das Soli-Flüchtlingsfond auch sehr viel Wert darauflegen, dass so wenig wie möglich bürokratische Arbeit entsteht. Es werden nämlich Entscheidungen bezüglich finanzieller Unterstützung der Flüchtlinge durch ein kleines Gremium besprochen und entschieden ohne, dass es einen Antrag oder ähnliches beim Soli-Flüchtlingsfond gestellt werden muss (vgl. Bruno H. Interview 1.3: 9:38).
So wird auch das Verhältnis zwischen bürgerlichem Engagement in der Flüchtlingshilfe und den staatlichen Verantwortungen kritisch diskutiert. Engagierte leisten Aufgaben, die der Staat eigentlich zu leisten hat. So wird die Gefahr gesehen, dass Engagierte als „Lückenfüller/innen“ des Staates betrachtet werden (Gottschalk & Zajak 2018: 10). Jedoch sollten wir auch die Ansichtsweise der Engagierten betrachten, bevor ein genaueres Urteil festgehalten wird. Nach einer Umfrage (IfD-Allensbach) bewerten nur wenige Engagierte (ca. 5%) die staatliche und kommunale Unterstützung als „gar nicht gut“ und die Hälfte der Befragten schätzen die staatliche Unterstützung als „gut“ ein. 35% der befragten Engagierten haben jedoch angegeben, dass die Hilfeleistungen „weniger gut“ seien und damit zusammenhängend auch verbesserungswürdig ist, sowie auch mehr Unterstützung durch Ämter und Behörden in der Flüchtlingshilfe erwartet wird[2]. So bestätigt auch Vey (2018: 94), dass es teils Unterversorgungen der Geflüchteten durch das Versagen der staatlichen Behörden gibt und ehrenamtlich Engagierte bei Entscheidungen kein Mitspracherecht erhalten und teils sogar unerwünscht sind. So werden ehrenamtlich Engagierte in der Flüchtlingshilfe mehr oder weniger als Lückenbüßer/innen betrachtet, da sie nur dann Mitwirken, wenn der Staat und die Behörden versagen oder Bedarf an zusätzlicher Hilfe haben (vgl. Vey 2018: 94). Durch unseren Interviewpartner Bruno H. Können wir aber auch eine andere Sichtweise präsentieren, die jedoch nicht repräsentativ ist, jedoch zu unserer Minifallstudie einen erheblichen Stellenwert hat:
„Unser Staat würde zusammenbrechen, wenn es nicht die ehrenamtliche freiwillige Arbeit von Bürgerinnen und Bürgern gäbe. Also ohne Bürgerengagement würde unser Staat glaube ich nicht funktionieren. Weil es ist ein anderes Denken, ob ich als Verwaltungsmensch und Beamter eine Sache angehe. Die müssen viel mehr darauf achten. Es darf nichts passieren. Die haben ihre Vorschriften, die sind auch sinnvoll. Wir sind freier. Wir können natürlich auch kreativer sein. Also ich fühle mich nicht ausgenutzt. Also ich kann das ja jeden Tag begrenzen. Ich könnte morgens sagen ich mach das nicht mehr. Will ich aber gar nicht und es ist notwendig, dass es dieses Engagement gibt […]. Und ich mache die Erfahrung auch in dem Kreis der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, […] viele machen die Erfahrung: mein Leben ist auch wichtiger geworden […]. In Beziehung leben, ist wichtiger als haben!“
Bruno H. sieht sich nicht als Lückenfüller, sondern sieht das Positive, was er aus der Situation entnehmen kann. Auch wenn es ernüchternde Momente in der Flüchtlingshilfe erlebt, hat er immer noch das alleinige Entscheidungsrecht, ob er sich weiterhin engagieren will oder nicht. Bezogen auf die Arbeitsmarktintegration stellt er ebenfalls ernüchternde Ergebnisse fest, wie zum Beispiel, dass von circa 100 Geflüchteten für die er sich engagiert hat, nur schätzungsweise sechs davon einer Beschäftigung nachgehen oder sogar eine Ausbildung begonnen haben (Bruno H., Interview 2: 2:20). Dennoch kommt er zum Entschluss:
„Es muss auch Spaß machen und ich muss sagen, unterm Strich, trotz aller Ernüchterungen: also es macht mir Spaß. Es ist für mich eine Win-Win Situation. Ich bin auch ein neugieriger Mensch und finde, das sind interessante Leute, auch unglaublich nette Menschen und es bereichert mein Leben. […] Die meisten sind sehr Dankbar und Hilfsbereit.“ (Interview 1.2: 5:19)
Das bürgerliche Engagement in der Flüchtlingshilfe ist eine sehr große Unterstützung und eine gleichzeitige Entlastung für den Staat und die Behörde in diversen Tätigkeitsfeldern. Werden die Ergebnisse betrachtet, kann zusammenfassend gesagt werden, dass die Aufgabenfelder Engagierten zwar in den staatlichen Verantwortungsbereich fallen und diese somit als Lückenfüller/innen dienen. Viele der befragten Engagierten fühlen sich dadurch ausgenutzt, weshalb viele die Flüchtlingsarbeit nach dieser Erkenntnis, aufgrund Enttäuschung und Frust aufgeben (Vey 2018: 94). Und auch die Allesbacher Umfrage bestätigt, dass Engagierte als Lückenfüller/innen dienen, da die Unterstützung von Staat und Kommunen ausbleibt oder verbesserungswürdig ist[3].
Mit unserer Minifallstudie sind wir jedoch zur Erkenntnis gekommen, dass das Engagieren der Flüchtlingsarbeit personenbezogen ist und unser Interviewpartner sich nicht als „Lückenfüller“ betrachtet, da er Spaß an seiner Arbeit hat und sich dadurch auch erfüllt sieht. Er ist sich jedoch auch im Bewusstsein, dass der Staat ohne das bürgerliche Engagement, die Flüchtlingsarbeit kaum stemmen könnte und damit zusammen ein Zusammenbruch bzw. Chaos entstehen würde. Jeder einzelne Engagierte ist sehr wichtig für den Staat bezüglich der Flüchtlingsarbeit und sollte durch mehr Unterstützung durch Staat und Behörden gefördert werden, damit das Engagement in der Flüchtlingsarbeit noch besser ausgebaut werden kann.
Ein Beitrag von Sevtap Ucar
Literaturverzeichnis
BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (2017): Ergebnisbericht einer Untersuchung des Instituts für für Demoskopie Allensbach, [online] https://www.bmfsfj.de/blob/122010/d35ec9bf4a940ea49283485db4625aaf/engagement-in-der-fluechlingshilfe-data.pdf [24.09.2018]
Gottschalk, Ines/ Zajak, Sabrina (2018): Geflüchtetenengagement in Deutschland: Konturen eines neuen Engagementfelds, in: Sabrina Zajak Gottschalk, I. (Hrsg.), Flüchtlingshilfen als neues Engagementfeld. Chancen und Herausforderungen des Engagements für Geflüchtete, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 7-22
Johanssons, S. (2016): Die ungleiche Verteilung von Teilhabechancen für geflüchtete Menschen in Deutschland: Rahmenbedingungen der Lebenssituation von Flüchtlingen, in: Günter G. Goth/ Eckhardt Severing (2016), Asylsuchende und Flüchtlinge in Deutschland: Erfassung und Entwicklung von Qualifikationen für die Arbeitsmarktintegration, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, S. 19.38.
Pfeffer-Hoffmann, C. (2016): Arbeitsmarktzugang von Geflüchteten, in: Günter G. Goth/ Eckhardt Severing (2016), Asylsuchende und Flüchtlinge in Deutschland: Erfassung und Entwicklung von Qualifikationen für die Arbeitsmarktintegration, Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag GmbH & Co. KG, S. 39-60.
Vey, J. (2018): Zwischen Empowerment, Lückenbüßerei und neoliberaler Aktivierung des Selbst?! Ehrenamtliches Engagement und Regelversorgung in der bundesdeutschen Flüchtlingsversorgung, in: Sabrina Zajak Gottschalk, I. (Hrsg.), Flüchtlingshilfen als neues Engagementfeld. Chancen und Herausforderungen des Engagements für Geflüchtete, Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 77-98.
[1] Aus datenrechtlichen Gründen und auf eigene Bitte wird der Nachname von unserem Interviewpartner nicht ausgeführt.
[2] Vgl.: BMFSFJ (2017): Ergebnisbericht einer Untersuchung des Instituts für für Demoskopie Allensbach. S. 43f.
[3] Vgl.: BMFSFJ (2017): Ergebnisbericht einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach. S. 43f.